Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 20/2013
Liebe Frau Andrea,
auf die Gefahr hin, dass die Frage längst geklärt ist: Woher stammt und was bedeutet ursprünglich die meist affirmativ verwendete Modalpartikel „gell“, im Wiener Raum mir auch als „gelt“ bekannt? Und trügt mein Eindruck, dass die Verwendung wegen der phonetisch zufälligen Nähe zum ubiquitären „geil“ deutlich abgenommen hat?
Küß die Hand, Cyril L.,
per Gesichtsbuch-Direktnachricht
Lieber Cyril,
in Gefahr endgültigen Geklärthabens befinden wir uns erfreulicherweise nicht. Wir sind Teilnehmer in einem permanenten Überprüfungsprozess, der als nie abgeschlossen erachtet werden muss. Die von Ihnen botanisierte Interjektion “gell” (seltener: “gelt”) wird im Wienerischen bekanntermassen “gö” oder “göö” ausgesprochen. Es ist die Wunschform “gelte” zum Zeitwort “gelten” und etymologisch gesehen mit dem “Geld”, dem “Gültigen”, dem “Geltenden” verwandt. Möglichwerweise hat “geil”, aus dem Bundesdeutschen zu uns gestossen und über den Werbespruch “Geiz ist geil” amplifiziert, die Konjunktur von “gell” etwas einknicken lassen. Das Wienerische kommt kaum ohne das “gö” aus, behandelt es allerdings ganz gegen seine tatsächliche Herkunft so, als käme es vom Zeitwort “gellen”. Bedeutet “Gö, du khúmmst”, noch ganz “gelt”-konform “Gelte es, dass du kommst”, vernebelt sich dieser Zusammenhang in der Mehrzahl. Hier sagt der Wiener, die Wienerin “Göts, es khúmmts”, meint ”Gelte es, ihr kommt”, verwendet aber tatsächlich das Verb “gellen”. Deutlich wird das in der Höflichkeitsform: “Göns, se khúmman”. Gezwungen dies ins “Hochdeutsche” zu übertragen, würden der Wiener, die Wienerin also “Gellen Sie, Sie kommen” radebrechen, statt “Gelte es, Sie kommen”. “Gelten” spricht man im Hieb “götn” aus, “es gilt” “es güt”, das Geld “es Gööd”, “da Flieda” oder “die Marie”. Die “Kehle”, verwandt mit dem “gellen” ist im Wienerischen die “Kööhn”. Im Einklang mit der Erkenntnis, dass Kellner hierzustädte meist schreiend ihre Arbeit verrichten, wird dieser Berufsstand nicht “Köllara” (also der im Keller ordinierende) sondern “Kööna” bezeichnet. Gerufen wird allerdings niemals nach einem “Kööna”, Kellner, sondern stets nach dem “Hean Oba”, dem Herrn Ober. Göns.
Sehr geehrte Frau Andrea,
mit Interesse habe ich Ihren Beitrag zum „gö“ gelesen.
Bei uns in Oberösterreich sagt man statt dem wienerischen „gö“ am Ende oder Anfang eines Satzes bekanntlich oft „goi“ und will – so scheint mir- damit ein wenig beschwichtigen, Zustimmung heischen, Verbundenheit anzeigen, sogar ein bisschen schmeicheln.
„Goi Oma, i kriag a Eis von Dir…“, „Goi, Du gehst aa mid…“, „Goi, Du bist ma ned bees?“ Würde man nur die Information abfragen, würde es einfach „Kriag i a Eis von Dir?“, „Gehst aa mid?“ oder „Bist ma eh ned bees?“ heißen.
Ich seh da natürlich einen Zusammenhang zu „es gilt“, zu „gellen“ eigentlich nicht.
Unsere donauschwäbische Großmutter hat uns oberösterreichisch sprechenden Kinder häufig mit „die Goi“ bezeichnet. „Jetz‘ kommens wied’rr, die Goi!“. Warum wohl?
Vor einiger Zeit hat mir eine Tschetschenin erzählt, dass man auch in Ihrer Sprache häufig ein „goi“ an den Satz anhängt, weshalb sie sich in Oberösterreich ein bisschen daheim fühle.
Das heißt übersetzt angeblich sowas wie „Siehst du!?“ Vielleicht besteht da ja auch ein Zusammenhang?
Ich freu mich über jede Ihrer erleuchtenden Erklärungen, Sie sind oft Gesprächsthema im Freundeskreis ;-), goi, Frau Andrea!
Liebe Grüße aus Oö
Regina Lint
Liebe Frau Lint,
zu tschetschenischem Vokabular kann ich wenig beitragen. Es ist allerdings sehr unwahrscheinlich, dass es mit unserem, Ihrem oberösterreichischen „goi“ zu tun hat, schon wegen des Umstands, dass Tschetschenisch (eine nordostkaukasische Sprache) nicht mit den indoeuropäischen Sprachen verwandt ist.
Was den etymologischen Zusammenhang zwischen „göö“, „goi“ und „gelten“ betrifft, dürfen Sie mir (und der von mir konsultierten Fachliteratur) vertrauen.
Beste Grüße aus Wien,
Andrea Maria Dusl