Vom Zahnstochern im Restaurant

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 16/2013
Liebe Frau Andrea,
unlängst im Restaurant, nach faserigen Leckerbissen (Schulterscherzel samt Beilagen, schnappe ich mir einen Zahnstocher, und beginne – natürlich unter Wahrung der mir kenntlichen Regeln des guten Benehmens – die betroffenen Zwischenräume zu säubern. Nach kurzer Zeit ist’s vollbracht und es stellt sich mir die Frage: Wohin mit dem benutzten Hölzchen? Mit der Bitte, mir diese Verlegenheit beim nächste Ma(h)le zu ersparen
verbleibt stochernd,
Ihr Reinhard Schön, Emailhofen
Lieber Reinhard,
das von Ihnen beschriebene Problem gehört zu den Herausforderungen zeitgenössischer Etikette. Es stellt hohe Ansprüche an das Taktgefühl, kann aber mit Kenntnis der akut zirkulierenden Benimmregeln leicht gemeistert werden. Immer mehr Zeitgenossinnen und Zeitgenossen geraten in Unpässlicheiten der von ihnen wahrgenommenen Qualität. Aschenbecher in Nichtraucherlokalen werden kaum mehr gereicht, der Weg zum nächsten Mülleimer ist meist unbekannt, ein Verbergen des spitzen Gegenstands in der Hosentasche kommt nicht in Frage, das Ablegen des abgeknickten Zahnhölzchens in des Kellners offener Hand ist mit Unschicklichkeit verbunden, Servietten oder ähnliche Accessoires zur unauffälligen Verpackung werden meist schon mit dem Gedeck abserviert. Der Gründe für zahnstocherliches Ungemach gibt es viele. Experten raten vom Gebrauch von ‘cure·dents’ überhaupt ab. Trotz seiner geschichtlichen Bedeutung, die schon in der Steinzeit beginnt, ist der Zahnstocher kein probates Mittel zur Interdentalreinigung mehr. Längst haben ihm industriell gefertigte Zahnzwischenraumbürsten den Rang abegelaufen. Die kleinen Helferlein werden mittlerweile in jedem Drogerie-Supermarkt angeboten. Das Stochern hinter vorgehaltener Hand zählte nie zu gutem Benehmen. Gesellschaft von Rang entschuldigte sich bei Vorliegen von Faseralarm stets mit dem Gang in den Puderquastenraum. Fragen wir uns nun, wie man die beabsichtigte Abwesenheit vorbringe. “Ich habe einen Kurztermin beim Dentalflossisten” oder: “Ich muss mal für kleine Zahnärzte” gelten als brauchbare Ansagen. Auch das Verhüllen des Tabuwortes mit ausländischen Begriffen für den Zahnspan darf beim Gang in den Stocherraum empfohlen werden. Hauchen Sie „stuzzicadenti!“ (italienisch), „dentopinglo!“ (esperanto) oder „hammastikku!“ (finnisch). Am elegantesten wird vom urbanen Publikum die indonesische Variante bewertet: “tusuk gigi!”
www.comandantina.com dusl@falter.at

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