Von Tätern und Opfern ::: Protestlesung ::: 24.3.2013 Schauspielhaus Wien

PROTESTLESUNG im Schauspielhaus Wien
Sonntag, den 24. März 2013 um 11 Uhr
„Von Tätern und Opfern. Wider die derzeitige Rechtsprechung bei Sexualdelikten.“
Es lesen: Andrea Maria Dusl, Sabine Gruber, Olga Flor, Sibylle Hamann, Elfriede Hammerl, Gabriele Kögl, Margaret Kreidl, Lydia Mischkulnig, Helga Christine Pregesbauer, Julya Rabinowich, Eva Rossmann, Susanne Scholl, Andrea Stift, Linda Stift, Cornelia Travnicek
Moderation: Susanne Scholl
Musik: Sormeh (Iran/Serbien)
Musik zwischen Kagran und Teheran: Musikalischer Bogen von orientalischer zu balkanischer Musik
facebook.com/Sormehmusic
Gesang, Daf, Berimbao: Golnar Shahyar
Klarinette: Mona Matbou Riahi
Gesang, Viola, Loops: Jelena Popržan
Sexueller Missbrauch einer Minderjährigen führt derzeit innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens zu 6 Monaten Fußfessel, von denen noch Monate nachgelassen werden. Eine Justiz, unter deren Wirken erwiesene sexuelle Gewalt an Frauen und Minderjährigen zu lächerlich geringen Strafen führt, signalisiert den Tätern freie Bahn. Ein sexueller Übergriff ist Gewalt. Delikte gegen Leib und Leben werden sanfter bestraft als Vermögensdelikte. Als Schriftstellerinnen erheben wir unsere Stimme stellvertretend für die Opfer und ihre Angehörigen. Ein Protest für alle – vorgetragen von vielen.
Termin: Sonntag, 24.3.2013, 11 Uhr
Eintritt: 5 Euro
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Hier mein Text:

Benedikta

Benedikta hiess sie, Schwester Benedikta. Nicht Paula, nicht Roswitha, nicht Gertrud, nicht Helga. Ihr Körper war von schwarzem Tuch verborgen. An ihrem Finger steckte, wie an den Fingern ihrer Mitschwestern, ein goldener Ring. Schwester Benedikta war, wie ihre Mitschwestern auch, Ehefrau des Heilands, Jesu Christi, des Gottessohnes, des Auferstandenen, seinen Leib würden wir aufnehmen, wenn es soweit sei, sein Blut trinken.
Der Ring war nicht bloss der Ring, der Ring war das sanctum praeputium. Die Vorhaut Jesu, wie eine von uns herausgefunden hatte, im Heiligenlexikon ihres Onkels.
Den Ring konnte man spüren. Wenn Schwester Benedikta Schläge austeilte, wegen unerlaubtem Flüsterns, wegen verbotenem Tratschens, wegen Sprechens in der “stummen Pause”. Der goldene Ring, die Vorhaut Jesu, hart und kalt, hinterliess eine kurze Spur des metallischen Schmerzes, wenn Benediktas flache Hand, von hinten über unsere Hinterhäupter zog.
Oft.
Es war Benediktas Einfall gewesen, im Keller des Schulgebäudes das Zimmerchen einzurichten. Ein ganz besonders Zimmerchen. Das Schwarz der Schwärze, den Husten Gottes. Es roch nach dem Lavendel von Benediktas Habit, nach dem Melkfett, mit der sich die Schwestern die Hände einschmierten und nach dem scharfen Schweiss der Kinder Angst.
Einmal am Tag, zwischen halb vier und halb fünf, traten wir unseren Kinderdienst in diesem Zimmer an. Zu zehnt, so will ich mich erinnern, betraten wir den bösen schwarzen Raum. In dem Raum schwebte das haarlose Antlitz der Schwester Benedikta. Ihren Körper, die Umrisse ihrer pechschwarzen Tracht, konnte man nicht sehen, zu dunkel, zu schwarz war das Dunkel der Wände das uns umgab.
Das bleiche Gesicht der Schwester Benedikta war beleuchtet von einer schirmlosen Birne, deren weissglühende Fäden sich direkt in unsere Netzhäute brannten und dort ein rotgelb zitterndes Echo erzeugten. Zwanzig rotgelbe glühende Fäden zitterten also durch den Raum, vor dem schwärzesten Schwarz des Universums, beleuchtet von der Nemesis unter den Lichtern und dem Vollmond des Benediktagesichtes.
Unter der einsamen Glühbirne war eine kleine hölzerne Rutsche aufgestellt. Eine Leiter mit fünf Sprossen führte zu einer jausenbrettgroßen Sitzfläche. Dorthin aufgestiegen ließen wir uns nieder, in einem stummen Rhythmus, eine nach der anderen, um auf das wortlose Zeichen des Benediktamondes die physische Höhe eines Kinderhorizonts hinabzurutschen, auf den schwarzen Asphalt, mit dem der Keller ausgegossen war.
Nach dem Rutschen gingen wir einzeln und ohne Hast, unsere blaugrünkarierten Röckchen zurechtziehend, gegen den Uhrzeigersinn wieder nach hinten, zur Leiter. Dort stellten wir uns in der Schlange der Wartenden an. Wortlos und brav. Eine Stunde lang.
Schwester Benedikta nannte es „Das Spielen.“ “Warum spielen wir im Dunkeln”, fragten wir die Benedikta eines Tages und immer wieder, “warum im Keller?” “Hier kann uns niemand hören”, sagte die Benedikta und sie war ein Kind, als sie das sagte, in einem anderen Keller, er sah aus wie dieser, dunkel und kalt, die Rutsche war die für die Kohlen. “Wenn es weh’ tut, beisst du die Zähne zusammen und betest ein Vaterunser. Auch der Heiland hatte Schmerzen.”
Benedikta hatte keine Tränen mehr, um ihren Schmerz zu weinen. Also teilte sie ihren Keller mit uns. Und ein wenig von ihrem Schmerz. Kein Schwarz hat je wieder dieses Dunkel erreicht. Dieses Nichts, in dem das Benediktamondgesicht, die hölzerne Rutsche und die Aschfähle der rutschenden Kindergesichter schwebten.
So sah die Hölle aus.

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