Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 12/2013
Liebe Frau Andrea,
neulich fragte ich einen Freund – er ist Tätowier-Experte – ob der dichte schwarze Bart des durchgeknallten Modeschöpfers Harald Glööckler tätowiert sei. Mein Freund hielt seinen rechten Zeigefinger über die Oberlippe, und schwieg. Was meinte er wohl damit?
Vielen Dank und freundliche Grüße,
Bettina Schuhrke, Landstrasse
Liebe Bettina,
ihr Freund hat sich eines Mems bedient, das als Finger-Moustache (finger moustache tattoo) oder Fingerstache bekannt wurde. Dabei handelt es sich um eine Tätowierung, die an der, dem Mittelfinger zugewandten Seite des Zeigefingers gestochen wird. Das beliebteste Motiv ist ein an den Enden eingedrehter, kaiser-wilhelm- oder zwirbelbartartiger, jedenfalls aber cartoonhaft stilisierter Oberlippenbart. Neben schnell gestochenen, aber permanenten Tattoos, sind auch Rubbeltattoos und Filzstiftbemalungen des Mems im Umlauf. Der Finger-Moustache wird, meist überraschend und zur Auflockerung von Gesprächen über die Oberlippe gelegt. Auffallend viele Moustaches sind auf die Zeigefinger jüngerer Frauen tättowiert – Teenager werden in Zeiten von Fingerstach-Konjunkturen von Girlie-Gazetten und Modeketten mit Rubbel-Tattoos bedient. Als Ursprung wird die Rapperin Ella Wildie genannt, ein jüngeres Revival sieht im Tättowierer “Giovani” von High Street Tattoo in Columbus, Ohio den Originator des Zeigefingerbärtchens. Er will im Sommer 2003 einem Typ namens “Tom” den ersten Finger Moustache gestochen haben, dieser soll das Fun-Tattoo auf Myspace gestellt haben und damit die Schnurrbart-Lawine losgetreten haben. Für die Verbreitung im Mainstream sorgte die Comedy-Website “Something Awful”. Urbanmythologen wollen dem Finger Moustache auch sexuelle Konnotationen zusprechen. So soll der Zeigefingerbart ein einschlägiger lesbischer Code sein. Aber auch im Hetero-Underground wird der “Stache” mit sexualpraktischer Bedeutung aufgeladen. So heisst es in pornotheoretischen Internet-Foren, der Bart stünde für die Bereitschaft der mit dem Moustache markierten Trägerin, Anal-Cunilingus und Ass-Fingering zu praktizieren. Beim Gros der im Internet zirkulierenden Bilder von Männern und Frauen mit Finger Moustache dürfen wir vergleichsweise profane Gründe für die Applikation des Tattoos vermuten: Den harmlosen Spass, Gendergrenzen zu betreten und dabei temporäre Kleinstverschiebungen vorzunehmen. www.comandantina.com dusl@falter.at