Hermes Phettberg ist 60

FA-40.2012-Hermes-Phettberg-60.jpg
Hermes Phettberg ist 60.
Erschienen in Falter 40/2012
Geburtstagsporträt von Andrea Maria Dusl.

Geburtstagsode von Armin Thurnher.

Unsere Geschichte begann per Leserbrief.
Sex war das Thema. Du hast Lingens verteidigt, den
Machthaber im Profil. Meine Kritik an einem Hurenreport
stieß dir auf. Huren interessierten dich nicht,
du standest auf Lingens, habe ich später gemerkt.
„Josef Fenz, Wien 6“, so war dein Brief gezeichnet.
Alle paar Jahre fällt er mir in die Hände, wenn ich ein
Falterjahr nach Zitaten durchwühle. Bald
kam der Predigtdienst, deine strenge Idee,
per Kolumne das Festjahr des Herrn zu befolgen.
Kaum jemand ahnt den Sinn in der Folge der Feiern,
außer schüchternen Klerikern, die sich nie melden.
1994, am Ende des ersten Zyklus, erklärtest
du deinen Dienst für beendet. Dich davon abzubringen war
eine der leichteren Übungen an Gesprächen mit dir.
Aus den Predigtdiensten wurde ein Buch, dann viele
Bücher. Groß kam die „Nette-Leit-Show“ heraus. Lingens
trafst du wieder beim 20-Jahre-Falter-Fest im Prater.
Du, der gefeierte Talkmaster, er so ziemlich
am Boden. Für dich nur ein Act auf der Bühne.
Als du auf ihm herumtratst (die Familie und ich litten backstage),
folgtest du nur dem Prinzip: keine Schonung,
am wenigsten für dich selbst. Keine Schonung,
das schloss auch ein: keinen Sinn für Proportionen.
Den Körper zum Berg zu verfressen war der
Gipfel deiner Maßlosigkeiten. Sinnenlos
ausgeliefert den Sinnen. Überall Ungerechtigkeit,
alle schmarotzten an dir, daraus folgte, dass alle
dir alles schulden. Der ORF zum Beispiel. Wolfgang
Lorenz (ja, der) hätte deine Show finanziert
für ein weiteres Jahr. Obwohl kein Konzept stand,
hätte er das getan. Der Falter, Leute wie Dusl und
Hader hätten geholfen. Du aber keiftest, der ORF
habe dein Leben zerstört, ohne Fünfjahreskontrakt
mit Pensionsberechtigung gehe da gar nichts.
Das war’s dann damit. In einem Schanigarten
auf der Kärntner Straße verhandelten wir
über die Show. Zwischen zwei Mehlspeisen
kotztest du dir auf den Bauch. Das störte dich
weniger als mein Mangel an Einsicht.
Bist nicht einmal aufgestanden
zum Kotzen auf deinen bunten Pullover.
Ich zählte die Bröckchen in deinem Bart,
an denen du nonchalant herumwischtest,
während du weitersprachst, als sei
nichts geschehen. Der Kellner brachte beeindruckt
Servietten, TV-Personalities dürfen alles.
Dein Problem: Du warst nie eine TV-,
warst nur eine Personality. Hast dich zur
Persona stilisiert, öffentlich gemacht,
weil du – wie wir alle – weder in dir
noch außer dir ausreichend von dir fandest.
Diese Einsicht branntest du allen aufs Fell,
wahrhaft ig unwahrhaft ig, und als sie zur Rolle
wurde, die Phettberg-Glotzern gefiel, hast du
sie trotzig von dir gestoßen. Hingeglotzt, weggekotzt.
Aber dann – deine Schwäche – wolltest du trotzdem
Talkmaster sein und bleiben. Greintest über
Lebenszerstörung („Jeder erkennt mich!“)
ohne zugehörigen Reichtum und Überfluss.
Talkmaster der Kirche, die Priesterrolle hast du
als erste von dir gewiesen, der Zorn über die
Lügenpredigt der Wahrheitsverkünder
beseelt dich noch immer, nicht trotz, wegen deines
Glaubens an Gotty und dessengleichen.
Talkmaster als Herr deiner Rede,
nicht als Herr ihrer Phrasen wolltest du sein.
Zündender Wahn der Wahrhaftigkeit.
Wie hieß die Veranstaltung, wo du dich
eine Woche lang nackt mit verbundenen
Augen ausstellen ließest? Ein Moment
in unserer bizarren Beziehung: Just, als ich
den Raum betrat, nahmen sie zufällig
die Binde ab, du sahst mich, und ich
stand vor dir und der peinlichen Frage:
Wie grüßt man jemand, der einem
nackt und gefesselt hängend ins Auge blickt?
Mein geistesfernes „Grüß dich, wie geht’s dir?“
ärgert mich heut noch; da hattest du wieder
was auf den Punkt gebracht.
Du hättest gewünscht, dass man dich peitscht,
stattdessen quälte man dich mit Banalitäten.
Deine Sucht nach dem Jeansboy war nie
Metapher, die Härte gegen dich selbst brachte
existenzielles Übergewicht auf die Waage.
Übergewicht, Unform, Messietum. Einmal haben
dich Falter-Redakteure befreit, live im Radio deine
alten Zeitungen zum Lkw getragen, dann,
in Unternalb, in die Scheune. Im Vaterhaus mit dir Wein
getrunken, ganz ohne Medien Wein.
Jetzt bist du krank, freiwillig entmündigt,
ein Fall für Fürsorge, Pflege und deine
rührend besorgten Sachwalter, Betreuer.
Freunde wie ich haben sich rargemacht;
zahlt sich kaum aus, das zu beklagen.
Der Berg ist geschmolzen, aber er spricht,
als solcher selten erkannt (auch das nichts Neues),
mit der Stimme des Dichters, ganz ohne Schmalz.
So wünsch ich Hermes, dir, mir und allen:
dass du noch lange als Dichter sprichst.
Dein Platz im Falter ist sicher.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert