Die letzte darf die erste sein

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 40/2012
Liebe Frau Andrea,
ich lese den Falter in der Regel zuhause, auch weil ich immer von hinten beginne und nicht will, dass mich im Kaffeehaus jemand dabei beobachtet. Ich starte mit Ihrer Kolumne und wechsle anschließend zu Spalten-Nachbarin Knecht. Dann schaue ich mich bei den anderen nach Interessantem um und blättere weiter. Der Falter eignet sich besonders gut für diese Lesetechnik! Neulich entdeckte ich im Café Hummel einen Herrn, der den Falter ebenfalls von hinten nach vorne las. Fällt Ihnen dafür ein feines Wort ein?
Mit freundlichen Grüßen
Rosa Moralis, vermittels Bernsteinfunkennachricht
Liebe Rosa,
Zeitungsmachern sind die Komsumationsdevianzen ihrer Leserschaft bewusst. Ganze Forschungszweige beschäftigen sich damit. Wie in der Frage nach der Erstheit von Huhn oder Ei lässt sich nicht ganz klären, ob das hintenbeginnende Zeitungslesen vor dem Einrichten von Gerngelesenem auf den hintersten Zeitungsseiten begann oder umgekehrt. Vieles, nicht zuletzt das Alter dieser Beziehung spricht für eine gleichzeitige Evolution. Die Werbung hat die tatsächlich letzte Seite, Zeitungsmacher nennen sie die U4 (Umschlagseite vier), längst im gutgezahlten Griff. Stets auch in eigener Sache unterwegs möchte ich Ihnen den retrolegendiven Falterkonsum auch im Kaffeehaus ihrer Wahl wärmstens ans Herz legen. Die Kollegen von den vorderen Seiten mögen mir und ihnen dies verzeihen. Feine Worte fallen mir viele ein. In Anlehnung an die Figur des Palindroms (von griechisch Παλίνδρομος, palíndromos, rückwärts laufend) liesse sich vom palindromischen Zeitungslesen sprechen. Weil nun Rückwärtslesende nur von hinten zu lesen beginnen, innerhalb der Artikel und Kolumnen aber die Lesekonventionen beibehalten, sollten wir von pseudopalindromisch-artikelkonsistentem Lesen sprechen. Gewiss, das klingt geschraubt und ganz so altgriechisch, wie es tut, ist es auch nicht, wurde doch “Palindrom” erst im 17ten Jahrhundert aus den griechischen Wörtern palin, πάλιν (zurück) und δρóμος, dromos (Gang) zusammengesetzt. Vom englischen Bühnenautor und Dichter Ben Jonson. Die griechische Original-Phrase für Palindrom lautete καρκινικὴ επιγραφή, karkinikê epigrafê (Krabben-Inschrift), or einfach καρκίνοι, karkinoi (Krabben). Krabben wir also weiter im Falter!
www.comandantina.com dusl@falter.at

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