Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 37/2012
Liebe Frau Andrea,
kürzlich im Wartezimmer beim Arzt: In einem Artikel in einer Frauenzeitschrift erzählt ein junges Paar, wie sie mit der Tatsache zurechtkommen, dass die Frau sexuell komplett desinteressiert ist und überhaupt keine sexuellen Regungen und Gefühle hat. Die beiden kommen gut damit zurecht, auch wenn keine Details bekanntgegeben wurden. Kann das möglich sein? Gibt es Menschen, die trotz normaler Entwicklung und allen primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen asexuell sind, das heißt, auf keinerlei Liebkosungen oder sexuelle Stimulationen mit Erregung reagieren? Hab noch nie so etwas gehört.
Mit Neugier wartet und grüßt Sie ganz herzlich
Inge Mayer, vermittels Bernsteinfunkennachricht
P.S: ja noch was – warum heißt die ewig „Don Carlos“ genannte Oper nun Don Carlo (ohne s)?
Liebe Inge,
Die meisten Frauenzeitschriften müssen dem literarischen Genre der Fiktion zugerechnet werden. Bilder werden photogeshopped, Geschichten erfunden, Leserbriefe selbst geschrieben. Eine Heerschar begabter Journalisten bedient die Sehnsüchte und Sorgen einer meist weiblichen Leserschaft. Ihre Attraktion für das Paar, dessen Liebesleben soviele Fragen bei Ihnen aufwirft, ist ein Beispiel für die Anziehungskraft, die solche Publikationen entwickeln können. In der Sache selbst möchte ich mit Dr. Arthur Schnitzler antworten: “Der Mensch ist ein kompliziertes Subjekt“ und “seine Seele ein weites Land“. Da ihnen diese Antwort vermutlich zu fin-de-siècle sein dürfte, will ich einen anderen Doktor bemühen, den Düsseldorfer Arzt und Psychotherapeuten Martin Goldstein, mehreren Alterskohorten als BRAVOs Chefaufklärer Dr. Sommer bekannt. Dieser hätte sinngemäss geantwortet, dass der junge Herr in der vorliegenden Erzählung möglicherweise nicht die richtigen Techniken anwende, um seine Freundin zu “stimulieren” und sich vermutlich zu sehr auf den eigenen Höhepunkt konzentriere, worin grundsätzlich nichts falsches liege. Dr. Sommer hätte dem weiblichen Teil des Privatmythos gewiss zu Erregung mit dem eigenen Digitalapparat oder einem Massagestab geraten und im Falle schwerer kontinuierlicher Unlust zum Wechsel des Partners. Verdis Oper “Don Carlos” (mit “s”) basiert auf der gleichnamigen Tragödie Schillers. “Don Carlo” (ohne “s”) ist Verdis kürzere, italienische Version. www.comandantina.com dusl@falter.at