Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 35/2012
Liebe Frau Andrea,
warum man das gute alte Kopfsteinpflaster nicht nur schön und erhaltenswert finden kann, scheint mir im Umstand zu liegen, dass es die sommerlichen Temperaturen nicht so gut speichert wie Asphalt. Kopfsteinplaster bringt nicht nur eine organische Anmutung in das sonst so glatte und eher unsinnliche Stadtbild, es ist auch kein zwingender Grund auf Stöckelschuhe verzichten zu müssen, wie mir Reisen in andere Länder und Städte gezeigt haben.
Niki Witoszynskyj, Wieden,
vermittels Bernsteinfunkennachricht
Lieber Niki,
ich teile Ihre Sympathien für das Kopfsteinpflaster. Es ist ein harmonischer und formschöner Strassenbelag. Seine Konjunktur im öffentlichen RaumWiens war aber stets ganz anderen Überlegungen unterworfen als der Frage nach seinen thermischen und sinnlichen Qualitäten. Oder nach der Begehbarkeit mit Stiletto-Heels. Wir dürfen davon ausgehen, dass bereits im Mittelalter Marktplätze und die wichtigsten Strassen Wiens gepflastert waren. Wohl um Morast bei Regen und Staubwolken bei Trockenheit zu verhindern. Auf der Freyung lässt sich historisches Pflaster in Augenschein nehmen. Dort wurde mittelalterlicher Strassenbelag – katzenkopfgrosse Donaukiesel – ausgegraben und eine kleine Partie davon im modernen Gehsteig neu verlegt. Die Regel dürfte aber Belag aus unregelmässigen Sandsteinplatten gewesen sein, gebrochen in städtischen Steinbrüchen an der Hohen Warte und in Sievering. Es musste bis zu zwei mal im Jahr von den sogenannten „Überlegern“ ausgebessert oder überhaupt neu verlegt werden. Noch im Barock, wo viele Vorortestrassen ungepflastert waren, blies ständig ein ätzendes Gemisch aus Pferdedung und Strassenstaub durch die Stadt. Das harte Pflaster Wiens brachte Staatsmann Wenzel Graf Kaunitz aus Paris mit. Und zu seiner Verlegung auch gleich zwei Pflasterer aus Paris und Brüssel. Der Belag, den wir heute als Wiener Kopfsteinpflaster kennen und der meist unter Asphalt versteckt ist, kam aus den Granitsteinbrüchen in und um Mauthausen. Das Format der Wiener Steine ist seit 1826 wesentlich grösser als das anderer Städte. Der handfeste Grund: Die Habsburger wollten den revolutierwütigen Wienern keine allzu handlichen Wurfgeschosse unter die Füsse legen. www.comandantina.com dusl@falter.at