Das Geben ist immer ein Nehmen

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 30/2012
Liebe Frau Andrea,
beim Reflektieren über die Arbeitswelt sind mir unlängst die eklatanten Fehlbezeichnungen „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ aufgefallen. Denn schließlich gibt ja wohl eher der arbeitende Mensch, während sein kapitalkräftiges Gegenüber sich mehr oder weniger kräftig an den Früchten dieser Arbeit bereichert. Ich vermute hier eine bewusste und perfide Begriffsumkehr. Können Sie zur Aufklärung beitragen?
Mit besten Grüßen,
Klaus Richter, Hütteldorf, vermittels Bernsteinfunkennachricht
Lieber Klaus,
mit Ihrer Wahrnehmung reihen Sie Sich in eine lange Liste meist linker Denker und Betrachter ein, die Probleme mit dem Begriffspaars haben, das in Folge einer frühindustriellen Arbeiterunruhe, des Schlesischen Weberaufstandes von 1844, im Preussen des 19. Jahrhunderts entstand und schliesslich Eingang in die Sozialgesetze Otto von Bismarcks fand. Als erster prominenter Kritiker der inkrimminierten Begriffe gilt der deutsche Philosoph, Gesellschaftstheoretiker und kommunistische Revolutionär Friedrich Engels. In seinem, am 7. November 1883 in London verfassten Vorwort zur dritten Auflage des Werkes „Das Kapital“ seines „besten, unverbrüchlichsten Freundes“ Karl Marx vermerkt er: „Es konnte mir nicht in den Sinn kommen, in das „Kapital“ den landläufigen Jargon einzuführen, in welchem deutsche Ökonomen sich auszudrücken pflegen, jenes Kauderwelsch, worin z.B. derjenige, der sich für bare Zahlung von andern ihre Arbeit geben läßt, der Arbeitgeber heißt, und Arbeitnehmer derjenige, dessen Arbeit ihm für Lohn abgenommen wird. Auch im Französischen wird travail im gewöhnlichen Leben im Sinn von „Beschäftigung“ gebraucht. Mit Recht aber würden die Franzosen den Ökonomen für verrückt halten, der den Kapitalisten donneur de travail, und den Arbeiter receveur de travail nennen wollte.“ Ungeachtet der polemischen Kritik Engels’ und vieler Nachfolgender an der sprachmagischen Verzerrungskraft der beiden Begriffe konnten sich diese in der Lingo von Wirtschaftstheoretikern, Volkswirtschaftlern, Gesetzgebern und politischen Akteuren etablieren. Dem Selbstverständnis der Beteiligten am Begriffspaar Arbeitnehmer/Arbeitgeber würden die holprigen Neologismen „unterkapitalisierter Arbeitskraftanbieter“ (Arbeiter) und „kapitalkräftiger Arbeitskraftsuchender“ (Unternehmer) trotz aller Hoplprigkeit eher entsprechen.
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