Ja dissen’s das überhaupt?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 09/2012
Liebe Frau Andrea,
vor einigen Jahren wurde das Wort “dissen” von meinen Söhnen in unserer Familie eingeführt. Anfangs konnte ich damit nichts anfangen, mit der Zeit bekam ich ein Gefühl für die Anwendungsmöglichkeiten (und würde so übersetzen: ich hab dich gedisst: ich hab dich reingelegt, angeschmettert, verarscht; dissing: cool, überraschend gut). In einer der letzten Falternummern habe ich mit großem Erstaunen nun erstmal das Wort “gedisst” medial verwendet gelesen. Woher kommt dieser Begriff?
Vielen Dank für Deine  Aufklärung!
Deine Schulfreundin Birgit Cottogni, per Gesichtsbuchdirektnachricht 
Liebe Birgit,
die Karriere des D-Verbs nahm ihren Anfang in der Umgangssprache US-amerikanischer Rapper. Der Slang-Ausdruck “(to) diss” bedeutet ganz im Einklang mit Deinen familiären Wahrnehmungen “jemanden schlechtmachen”, “respektlos behandeln”, “schmähen”. Das Dissen hat neben seinem Charakter als Instrument der privaten Beleidigung auch eine Funktion als Promotion-Tool in der medialen Positionierung von Hip-Hop-Tracks. Es gehört zum guten Ton in der Welt des Sprechgesangs, andere Marktteilnehmer zu “dissen”. Dies geschieht institutionell in Radiointerviews, bei Bühnenauftritten, und in Diss-Songs und Diss-Tracks. Der überwiegendende Teil der Aggression ist gespielt und ähnelt damit den gegenseitigen Beschimpfungen von Boxern vor grossen Faustkämpfen. Selten münden Diss-Battles in schwere Gewalt, wie bei den tödlichen Schussattentaten auf die legendären Rapper 2Pac und The Nortorious B.I.G.. Sprachforscher vermuten den Ursprung des Zeitwortes “diss” im umgangsprachlichen Englisch der Jamaikaner, es gilt als Abkürzung von “disrespect” oder “disparage”, repektlos sein, jemanden ungleich behandeln. Rappern wie Jamaikanern ist die Herkunft des Wortpartikels “diss” meist nicht bekannt, allerhöchstens wird ein französischer Wortursprung vermutet . Tatsächlich dürfen wir in “dis” eine lateinische Vorsilbe sehen, mit Bedeutungen von “entzwei”, “auseinander”, “zwischen”, “zer-” bis “un-”. Bedeutungsgleich mit “dis” ist die Vorsilbe “dif”, die stets vor “f” auftritt, wie in Differenz oder Diffusion, sowie die gekürzte Variante “di”, wie in Dirigent oder Distanz. Zurück zu Deiner Familie, liebe Birgit. Disse Deine Söhne, in dem Du sie “diffst”. Vielleicht damit, dass Du Ihnen Latinismus vorwirfst. High Five!
www.comandantina.com dusl@falter.at

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