Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 45/2011
Liebe Frau Andrea,
auf den jüngsten Bildern, die von ihm zirkulieren, trägt Julian Assange eine rote Papierblume am Revers seines Anzuges. Was ist denn das schon wieder? Ist das eine geheime Botschaft? Sensibilisiert für diese Blume habe ich sie auch bei anderen Promis im Vereinigten Königreich entdeckt. Ist das ein Weltverschwörer-Code? Und wenn ja, wofür?
Auf Ihre Antwort hofft
Lydia Gulder, Leopoldstadt, per Bernsteinfunkennachricht
Liebe Lydia,
die rote Blume im Knopfloch ist tatsächlich ein Code, allerdings kein allzu geheimer. Mit den Kernkompetenzen von Wikileaks-Mastermind Julian Assange hat er auch recht wenig zu tun. Die rote Papierblume, von Passanten am Revers getragen, von Magazinen am Cover abgedruckt und von den Verkehrsbetrieben auf die Frontseiten der Bussen geklebt, ist eine stilisierte Mohnblume. Als Rememberance poppy, Gedenkmohn, gilt sie als das Symbol der Erinnerung am Kriegstotengedenktag der angelsächsischen Nationen. Am Poppy Day, er wird am 11. November gefeiert, versinken Gräber und Gedenkstätten in Meeren von Mohnblumen. Der Mohn als Zeichen der Heldentrauer hat seinen Ursprung in dem, am 3. Mai 1915 verfassten Gedicht “In Flanders Fields” (auf Flanderns Feldern) des kanadischen Sanitätsoffiziers John McCrae. In bewegenden Versen verarbeitet dieser seinen Schmerz, einen Tag nach dem Tod seines Freundes während eines Granatenangriffs in der Zweiten Flandernschlacht bei Ypern. Das Gedicht beschreibt die Eindrücke am frischen Grab – den Wind in den blühenden Mohnblumen zwischen den Kreuzen der Gefallenen. Der Mohn in McCraes Gedicht wird nicht nur mit dem Blutrot seiner Blütenblätter, sondern auch mit der narkotisierenden Wirkungen des Schlafmohns verbunden, aus dem Morphium gewonnen wurde, das Schmerzmittel für die schwer verwundeten Soldaten. Julian Assange hat sein Mohnblümchen offensichtlich in England erstanden. Hier zirkulieren zweiblättrige Versionen, sie sind auf einem grünen Pappblatt montiert, als Stengel dient ein grüner Plastikhalm. Der schwarze Plastikknopf in der Mitte ist mit dem Slogan “Poppy Appeal” markiert. Die Charity-Poppy hat keinen fixen Preis. Man gibt, was man möchte. Ein Team von etwa 50 Leuten, die meisten von ihnen Kriegsversehrte, erzeugen die Millionen von Ansteckern in einer Fabrik in Richmond. www.comandantina.com dusl@falter.at