Matzleinsdorf am laufenden Band

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 44/2011
Liebe Frau Andrea,
zu meinen frühen Kindheitserinnerungen zählt eine Fahrt auf einer horizontalen Rolltreppe, wie man sie heute auf allen Flughäfen, die auf sich halten, antrifft. Möglicherweise leicht ansteigend, aber jedenfalls nicht gestuft. Verbunden ist diese Erinnerung mit endlos verschlungenen labyrinthischen, gekachelten, grünlich-gelblich beleuchteten Gängen und Treppen. Täuscht mich meine Erinnerung?
 
In Erwartung Ihrer geschätzten Antwort verbleibe ich Ihre stets treue Leserin
Sylvia Gössl, Wien 23, per Schmelzglas
Liebe Sylvia,
Ihre Erinnerung täuscht sie nicht, den von ihnen beschriebenen Peoplemover gab es in Wien tatsächlich. Am 11. Jänner 1969, Nixon wurde gerade US-Präsident, wurde am Matzleinsdorfer Platz ein umfangreiches unterirdisches Passagen- und Haltestellenbauwerk eröffnet. Hier sorgte die Ustrab, die Unterpflasterstraßenbahn für eine Ahnung zukünftiger U-Bahn-Gefühle. Die gesamte Anlage (ohne Bahnhaltestelle) umfasste neun Zugänge, sechs Fahrtreppen und elf Stiegen. Für depressive, Ostberliner Intensitäten erreichende Stimmung sorgte der sparsame Einsatz von Leuchtstoffröhren. Im Zuge der Errichtung wurde auch Wiens erster und eigentlich auch einziger „rollender Teppich“ eingebaut, ein Fahrsteig zur Beschleunigung der langen unterirdischen Fußwege. Im Geiste angewandter Sparsamkeit lief der Fahrsteig nur stadtauswärts und war ein beliebtes Spielzeug der Schüler aus der HTBLVA Spengergasse, die sich hier mit Lauf- und Jagdspielen sowie seitlichem Auf- und Abspringen auf ihren Turnunterricht in der Grenzackerstraße in Wien Favoriten einstimmten. Der beliebte, eine leicht merkbare Steigung von 5% überwindende Fahrsteig war im Grunde nichts anderes, als eine horizontal laufende, keine Treppen aufwerfende Rolltreppe. Wienerinnen und Wiener konnten hier internationales Flughafengefühl ohne den Stress und die finanzielle Belastung tatsächlichen Fernreisens üben. Gebühr wurde keine eingehoben. Der rollende Gang wurde in den Neunzigerjahren stillgelegt und die triste Passage mit bunten Fließen aufgepeppt. Die Unterführung wurde am 1.3.2004 endgültig geschlossen, ihre Eingänge fielen einem Radweg zum Opfer und wurden zugemauert.
www.comandantina.com dusl@falter.at

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