Schluss mit lustig

Für meine Gast-Kolumne ‚Lebensart‘ in den Salzburger Nachrichten vom 8. Oktober 2011.

Occupy-Together-Poster-07.jpgAngefangen hat es in Nordafrika. Im Frühling. Das Volk hat die Vertrauensfrage gestellt. Nicht im stillen Kämmerlein, hinter vorgehaltener Hand, sondern öffentlich. Die Menschen sind auf die Straße gegangen. Nicht einzeln oder in kleinen Gruppen, sondern in Massen. Frauen, Männer, Kinder. Arbeiter wie Akademiker, Bauern wie Beamte. Haben nicht länger gefragt, wie lang sie sich das noch gefallen lassen, sondern haben das Fragen eingestellt und sind zum Sagen übergegangen. Sie haben gesagt: Jetzt ist Schluss mit lustig, wir haben die Nase voll.

Potentaten und Präsidenten, Patriarchen und Politiker, ihr seid Pülcher! Es reicht. Es reicht schon lang. Ihr müsst jetzt gehen. Die Milliarden, die ihr uns geraubt habt, bleiben da. Der arabische Frühling wurde ausgerufen, der Westen erging sich in Freiheitsgeschrei, verglich die Aufstände mit dem Fall des Eisernen Vorhangs, freute sich über Neuzugänge im Paradies des Marktes und in den heiligen Hallen des ewigen Glücks. Aber das Glück währte nicht lang. Aus dem arabischen Frühling wurden die Blutsommer in Libyen und Syrien.

Mit abgeklärtem Gestus – „Ja dürfen’s denn des?“ – wurde den Völkern an der südlichen Peripherie Europas das Recht zugestanden, Selbstverständlichkeiten wie Demokratie und Menschenrechte in den eigenen Wünschekanon aufzunehmen, in Libyen half der Westen mit Bomben ein bisserl mit, schon in Syrien fürchtete er den Flächenbrand. Die arabischen Diktaturen stehen geopolitisch nicht zur Disposition, der Frühling dort muss warten. Zu eng sind die Verflechtungen der regierenden Dynastien mit den Kapitalhäfen des Westens. Das Gespenst der Freiheit aber gibt keine Ruhe. Jetzt sind ganz woanders die Menschen aus dem stillen Kämmerlein getreten, noch nicht in Massen, aber in kleineren, rapid größer werdenden Gruppen. Frauen, Männer, Kinder. Arbeiter wie Akademiker, Freischaffende wie Beamte. Erst kampierten sie an der Wall Street. Von der Presse ignoriert, von den Sicherheitskräften belächelt. Aber es wurden mehr. Stündlich wurden es mehr. Und irgendwann waren es so viele, dass man sie polizeilich behandeln musste, mit Schlagstöcken und Pfefferspray.

„Occupy“ ist die Losung. Und längst ist es nicht mehr nur die Wall Street. Die Unzufriedenen demonstrieren in jeder großen amerikanischen Stadt, okkupieren Chicago, Boston, Los Angeles, Seattle, Dallas, Philadelphia, San Francisco. Ihnen sind die Blogs und Foren, die Twitter-Timelines und Facebook-Pinnwände längst zu klein geworden sind. Sie sind jetzt auf die Straße gegangen.

Wir sind die 99 Prozent, sagen sie, wir werden aus unseren Häusern geworfen, wir müssen entscheiden, ob wir einkaufen oder Miete bezahlen. Für beides reicht es nicht. Wir haben keine medizinische Versorgung, wir leiden unter der Umweltverschmutzung. Wir arbeiten lang für wenig Geld. Wenn wir überhaupt Arbeit haben. Wir bekommen nichts, während das andere eine Prozent alles bekommt. Wir sind die 99 Prozent. An der Wall Street hat es begonnen. Mittlerweile gehen die Menschen in ganz Amerika auf die Straße. Überlegt euch was, Einprozentpülcher, jetzt ist Schluss mit lustig. Es reicht. Bald auch bei uns. Morgen vielleicht.

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