Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 40/2011
Liebe Frau Andrea,
im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt erdreistete sich ein Jemand “Wassily” zu schreiben. Wassily – mit einem Y am Ende! Nun verbindet mich eine unkeusche Liebe zur russischen Sprache und ich ertrage bei Übersetzungen am Ende russischer Namen nur ein I bzw. IJ. (Wassili lasse ich gelten, Wassilij bevorzuge ich.) Ein Y am Ende verursacht mir jene Schmerzen, die meinen Mathematikprofessor angesichts meiner Hyperbeldarstellung überwältigten. Ihnen schreibe ich unfehlbare Autorität in diesen Fragen zu: Wenn Sie für das Y voten, weiß ich, dass auf dieser Erden kein Platz mehr für mich ist. Ihre Verantwortung ist groß – doch ich bitte um schonungslose Wahrheit.
Zerrissen im slawischen Zwiespalt und stets die Ihre,
Renate Mocza, Werkkreis Literatur der Arbeitswelt,
Donaustadt, per Schmelzglas
Liebe Renate,
die gute Nachricht zuerst: Wassilij. Unfehlbar nennt man nur den Papst – Autoritäten zweifle ich generell an. Von der Wahrheit kann ich nichts berichten, weil ich diese generell für das Ergebnis von Verhandlungsprozessen halte. Ich kann Ihnen aber mit meinen Wahrnehmungen dienen. Hier beginnen die schlechten Nachrichten. Den russischen Vornamen Василий schreiben wir korrekterweise mit kyrillischen Buchstaben. Das Vermögen, diese zu entziffern hält sich im lateinisch alphabetisierten Teil der Welt in Grenzen. Anglosächsisch Sozialisierte sind bekanntlich schon für diakritische Zeichen und andere Buchstabenverunreinigungen nicht permeabel. Unglücklicherweise gilt ausgerechnet die englische Sprache als lingua franca des Informationszeitalters, diesem Umstand verdanken wir Computer- und Handytastaturen mit anglosächsischer Zeichenbelegung und damit das Problem der Umschrift. Die mittelalterlichen Übersetzer befragten, so einer greifbar war, einen Muttersprachler und gaben einen ausländischen Namen lautschriftlich wieder. Das undurchdringliche Dickicht moderner Trankriptions- und Transliterarisationsmethoden sorgt für weiteres Chaos. Wassily scheint der Austriazismus eines Bastards der englischen Transkription “Vasily” mit der französischen, “Vassili” zu sein. Nichtkennern der kyrillischen Originalschreibweise Василий darf man das deutsche Transkript Wassili durchaus gestatten, Spezialisten mögen Wassilij schreiben.
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