Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 38/2011
Liebe Frau Andrea,
haben Sie eine Erklärung dafür, warum, vor allem in Kultur-Rezensionen, die Akteurinnen sehr oft ein „die“ vor ihren Familiennamen gesetzt bekommen – pars pro toto: “Die Netrebko“ und “Die Eckert“ – hingegen den beteiligten Männern immer das “Der” vorenthalten wird? Warum heisst es, zum Beispiel, nie ”Der Schrott“ oder “Der Schottenberg“?
Fragt neugierig die Dusl
der (Walter) Stach, Laimgrube, per Schmelzglas
Lieber der Walter,
in unserer Sprache gibt es immer wieder Mysterien, die sich schlüssigen und einleuchtenden Erklärungen entziehen. Manches, von dem wir denken, es sei gerade auf die Zungen der Sprechenden gesprungen, gedeiht schon seit Jahrhunderten im Verborgenen, manch dahergekommenes hat sich eben erst ein Dichter oder Popwurstel ausgedacht. Das meiste aber ist weder verzopft noch avantgardistisch, sondern das Ergebnis langsamer Entwicklungen. Das Phänomen des “bestimmten Artikels” – dessen assymmetrischen Gebrauch sie ja monieren – ist Ergebnis einer Jahrtausende dauernden sprachlichen Entwicklung. Nach der Theorie des US-amerikanischen Linguisten Joseph Greenberg entwickeln sich Artikel aus Demonstrativpronomen (hinweisenden Fürwörtern), Wörtern also, mit der ein Sprecher auf einen Gesprächsgegenstand im Raum verweist, auf den man mit dem Finger zeigen kann. Im Deutschen (das wie viele indoeuropäische Sprachen ursprünglich keine Artikel kannte) waren das die Pronomen dër, diu und daz. Diese haben sich, ganz im Einklang mit Greenbergs Theorie zu generischen (geschlechtsbestimmenden) Artikeln weiterentwickelt, zunächst sowohl in bestimmten als auch in unbestimmten Zusammenhängen. Als frühes Zeugnis des Gebrauchs von Artikeln gilt Wulfilas gotische Bibelübersetzung – sie imitiert die bestimmten Artikel des griechischen Ausgangstextes. Greenberg beschreibt diese Vorgänge als “Zyklus des bestimmten Artikels”. Im Lichte dieser Theorie wären umgangssprachliche Benennungsstrategien, die zu “der Netrebko” oder “der Eckert” führen, Phänomene des wunderlichen Deutens – in diesem Falle dem, männlicher Rezensenten. Ihre Geschlechtsgenossen, lieber “der Stach” haben längst gekontert und den Artikel “ein” eingeführt. Seit Schwarzblau kennen wir “einen Karlheinzgrasser”, “einen Wolfgangschüssel” und andere illustre “Eine”. www.comandantina.com dusl@falter.at