Vor der Stadt ist in der Stadt

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 31/2011
Liebe Frau Andrea,
lebt man in Wien im 16. Bezirk, so ist man ein Ottakringer, im 14. ist man ein Penzinger. Wie aber verhält es sich mit Bewohnern des 15. Bezirks? Sind das Rudolfsheimer? Fünfhauser? Rudolfsheim-Fünfhauser? Und wie ist das mit dem 1. Bezirk? Geht das auch kürzer als „Bewohner der Inneren Stadt“? „Innenstädter“ heißt es ja wohl kaum.
Liebe Grüße, Anna Stibitznig, per Bernsteinfunkennachricht
Liebe Anna,
Sie dürfen alles! Das Wienerische ist eine elastische Sprache, sie steckt die seltsamsten Bezeichnungsversuche ohne Wimpernzucken weg. Selbstverständlich dürfen Sie Bewohner des Bezirks Rudolfsheim-Fünfhaus als Rudolfsheim-Fünfhauser bezeichnen, ganz so wie wir Wiener aus Ottakring Ottakringer nennen, solche aus Penzing Penzinger, wie wir Meidlinger Meidlinger nennen, Hietzinger Hietzinger, Simmeringer Simmeringer und Liesinger Liesinger. Meist weist die Hauptstrasse eines Bezirkes oder einer ehemaligen Vorstadt den toponomastischen Weg, jemand ist also ein Erdberger, Landstrasser, Favoritner, Wiedner, Gumpendorfer, Mariahilfer, Hütteldorfer, Lerchenfelder, Josefstädter, Alser (oder Alster), Heiligenstädter. Schon kompliziert wird es mit Wohnhaftenden aus Währing. Wienerisch korrekt bezeichnet wäre so jemand ein Wahringer oder eine Wahringerin (mit langem a), folgen doch die Herkunftsbezeichnungen eher den alten Vorstadt- und Dorfnamen, als den etwas moderneren Bezirksnamen. Leopoldstädter (Leobóidschdetta) können also beispielsweise auch Zwischenbrucker, Praterische (Brodarische), Werder (Wéata), “aus da Tabuastrossn”, “da Jagazeun” oder “vo da Schütt” sein. Aber zurück zu ihrem Spezialproblem. Rudolfsheim-Fünfhauser sind strenggenommen alle „aus Rudoifsham”, aus dem, 1863 zu Ehren des damals fünfjährigen Kronprinzen Rudolf so genannten Rudolfsheim. Noch genauer genommen sind Rudolfsheimer Herkünftler der fünf, Rudolfsheim konstituierenden Ortschaften, sind also Rustendorfer, Braunhirschner, Reindorfer, Sechshauser und Fünfhauser. Bewohner der “Inneren Stadt” sind nach alter Wiener Sitte “aos da Schdood”, aus der Stadt.
www.comandantina.com dusl@falter.at
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Am 03.08.2011 um 21:12
schrieb Wolfgang J. Kraus:
Liebe Comandantina Dusilova,
„Strenggenommen“ war diesmal ein Irrtum in Ihrem Text. Rudolfsheim wurde 1863 als Gemeinde gegründet und umfasste Braunhirschen, Reindorf und Rustendorf. 1892 wurde Rudolfsheim nach Wien eingemeindet und bildete gemeinsam mit Sechshaus den 14. Bezirk. Fünfhaus (der Norden und der Osten des heutigen 15. Bezirks) bildete den 15. Bezirk (alt).
1938 brauchten die Nazis die Bezirksnummer 14: Sie trennten die Stadtteile Penzing, Baumgarten und Hütteldorf vom 13. Bezirk ab und gemeindeten Hadersdorf und Weidlingau ein. Um diesem Gebiet nicht die Bezirksnummer 27 geben zu müssen, die sich zwischen 13, 14 und 16 seltsam gemacht hätte, wurde die Nummer 14 frei gemacht, indem die bisherigen Bezirke 14 und 15 zu einem zusammengelegt wurden: dem heutigen 15. Bezirk. Er erhielt den Namen Fünfhaus.
1957 wurde Fünfhaus durch einen Gemeinderatsbeschluss in Rudolfsheim-Fünfhaus umbenannt, um der historischen Zusammensetzung von 1938 Genüge zu tun, war doch Rudolfsheim nicht weniger wert als Fünfhaus.
Übrigens nennen wir auch nicht alle aus dem 12. Bezirk Meidlinger: Die Hetzendorfer sind schon etwas Anderes! Ein Hütteldorfer oder ein Hadersdorfer wird sich auch nicht als Penzinger bezeichnen. Und erst recht in Liesing! Da hat wohl jede Ortschaft ihre eigene Identität und ein Kalksburger verschwindet nicht hinter einem Liesinger.
Mit besten Grüßen eines Unter-St.-Veiters,
Wolfgang J. Kraus

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