Auf d’Nacht, Herr Direktor!

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 16/2011
Liebe Frau Andrea,
unlängst hatte ich einen sehr langen Abend im Akademietheater. Gegeben wurde das grandiose Stück „Eine Familie“. Einer der ebenfalls grandiosen Schauspieler hat seinen Auftritt ganz zu Beginn des Abends, dann stirbt seine Figur. Beim Schlussapplaus sah man den Herrn dann wieder – viereinhalb Stunden später. Natürlich weiß ich, dass alles nur gespielt ist. Aber was machen Schauspieler, wenn man sie viereinhalb Stunden nicht braucht? Sie kennen sich sicher auch da aus.
Liebe Grüße
Phillipp Sommer, Wien Sieben, per Bernsteinfunkennachricht
Lieber Phillipp,
Sie haben sehr richtig erkannt, dass die Gleichzeitigkeit von Figur und Darsteller in einigen grundsätzlichen Körperfunktionen Abweichungen erfährt. Geschissen und gestorben wird im Theater meist nur symbolisch. Ausnahmen kommen immer wieder vor. Bei regulären Produktionen dürfen wir aber davon ausgehen, dass Schauspieler ihren Bühnentod, sei er noch so ergreifend, nur spielen. Umso verblüffender nimmt das Publikum allerdings den Effekt ihrer Pumperlgesundheit beim Schlussapplaus wahr. So ist das Theater, lieber Phillipp, alles ist Chimäre, aber uns unterhält’s! Es gibt eine Vielzahl geschriebener und ungeschriebener Theatergesetze, die die Vorgänge hinter den Kulissen regeln. Schauspieler, die gerade nicht spielen, warten in Maske und Kostüm in der “Gasse”, auf der Hinterbühne oder in den Gängen, die die Bühne umlaufen. Der Inspizient und der Abenspielleiter sorgen für die Rechtzeitigkeiten ihrer Auftritte. Längere Pausen halten Schauspieler, je nach Status, Rollengrösse und Trinkgewohnheiten in ihren Garderoben oder in der Theaterkantine ab. Grössere Häuser leisten sich Monitore und Lautsprechersysteme, auf denen das Stück und wichtige Durchsagen der Inspizienten direktübertragen werden. Grössere Mimen haben Privatsekretäre, die sie aus Kurzschlaf und anderen Ablenkungen holen. Ausser bei der Premiere und der ersten Aufführung wird kein Bühnengestorbener viereinhalb Stunden auf den Schlussapplaus warten. In der Regel dürfen applausmüde Kollegen, die vor der Pause abgespielt sind, schon nach ihrem Auftritt nach Hause gehen. Oder der Nacht einen Haxen ausreissen.
www.comandantina.com dusl@falter.at

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