Zwischen leiwand und gebacken

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 13/2011
Liebe Frau Andrea,
bei der schultäglichen Nutzung der Schnellbahn begegnen meinem Sohn Begriffe, die ich längst im linguistischen Fossilien-Kabinett wähnte. Zum Beispiel: Auf der Skala der Qualitätskriterien platziert der Wiener Dialekt zwischen den Amplituden „leiwand“ und „gschissen“ bekanntlich „passt“ und „bochn“. Nun quälte schon mich zu meiner Schulzeit die Frage: Was – wenn überhaupt – wird da gebacken? Und warum ist das eher gschissen?
Oliver Lehmann, Landstrasse,
per Gesichtsbuchdirektnachricht
Lieber Oliver,
bei der Erörterung wienerischer Qualitätsbegriffe begeben wir uns auf schwankendes Parkett. “Leiwand”, die Bezeichnung für das Gute, Lobenswerte, Angenehme kommt je nach etymologischer Schulmeinung entweder von der Lei(n)wand, einem ausserordentlich beständigem, mit hoher Qualität identifizierten Textil, oder vom französischen “lévant”, aufgehend, erhebend, wie es auch im Begriff Levantine für den Orient gebraucht wird. Möglicherweise kommen hier aber auch Sprachtraditionen aus unseren südlichen Nachbargefilden zum Einsatz, bezeichnet doch das Italienische mit “(il) levantino“ den Gerissenen, den Gauner. “Gschissn” hat fäkalsprachliche Ursprünge, “Passt”, baasd ausgesprochen, ist selbsterklärend. Bleibt “bochn”. Es ist die wienerische Entsprechung von “gebacken” und bedeutet weniger die küchentechnische Zubereitungsart als “warm”, “schwul”, “homosexuell”. Der Sexualforscher (und bekennende Homosexuelle) Magnus Hirschfeld stellte in einem frühen Text die seltsame These auf, die Haut von Homosexuellen sei wärmer als die von Heterosexuellen. Ein knappes Jahrhundert später verbindet der Lexikograph Heinz Küpper mit schwul „beklemmend heiß“ und erklärt den Ausdruck als „Anspielung auf die Atmosphäre in einschlägigen Lokalen.“ Der Sache am nächsten kommt vermutlich Jody Skinner. Der Sprach- und Literaturwissenschaftler gibt in seinem Text „Warme Brüder, Kesse Väter, Bezeichnungen für das Homosexuelle im Deutschen“ eine plausible, wenn auch noch nicht belegbare Erklärung für “warm” und damit “bochn”. Demnach erinnere der Ausdruck an ein häufiges Schicksal Schwuler im Mittelalter: Die Verbrennung. Auch dafür hat das Wienerische eine oszillierende Qualitätsbezeichnung: “möada”, mörderisch.
www.comandantina.com dusl@falter.at

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