Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 08/2011
Liebe Frau Andrea,
neulich hatte ich ein Deja vu in der Simmeringer Banlieue am Murhoferweg. Als ich dort mit dem Aufzug in den 8. Stock fuhr, um eine alte Bekannte zu besuchen, hatte ich genug Zeit, die Kritzeleien im Aufzug zu studieren. Und da sah ich es wieder: AUTO. Mit schwarzem Filzler geschrieben stand es da. Und so wie damals in meiner Schulzeit im tiefsten Erdberg, wo es fast an jeder Ecke des Rabenhofes stand, frage ich mich heute noch. Welche Bedeutung hat AUTO? In der Hoffnung, daß Sie bescheid wissen und dieses Geheimnis entwirren, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen,
Armin Pfingstl, per Elektronachricht.
Lieber Armin,
es will mir schwerfallen, Ihnen als Ex-Erdberger das Nichtwissen um das Signum AUTO vorbehaltlos zu glauben. Erlauben Sie mir, den Ball dennoch aufzugreifen. Das Vierbuchstabenwort AUTO tritt uns oft in Versalien entgegen. Immer ist das A eckig geschrieben, wie ein F, dem jemand ein rechtes Strichlein zugefügt hat. Und das hat jemand in jedem Fall von AUTO auch. Und nicht nur das. Er oder sie hat immer auch noch ein O an das ursprüngliche Wort angefügt. Wir ahnen es, das ursprünglich an Aufzugwände, Türen, Kaugummiautomaten und in ungeputzte Autoscheiben geschriebene Wort lautet: FUT. Die wienerische Fut (Mehrzahl: die Futen) ist verwandt mit dem deutschen Wort Fotze und bezeichnet, wie hier schon erörtert wurde, das weibliche Geschlechtsteil. Schon im Altnordischen finden wir es als fuð (Scheide). Etymologisch fällt die Verwandtschaft mit Futteral und Futter (der Innenseite von Kleidungsstücken und Taschen) auf. Wir können sie auf das indogermanische *pah- (schützen, scheiden) zurückführen – im Altindischen bezeichnet etwa pātra den Behälter, das Gefäß, im Hethitischen pattar, pattur, den Korb. Zur Graffitierung von AUTO braucht es zwei, einander meist unbekannte Autoren. Beide arbeiten heimlich und unabhängig von einander unter Anonymisierung ihrer Textherstellerschaft. Der/die erste Autorin begeht eine Tabuübertretung mit dem heimlichen, aber öffentlich gut sichtbaren Hinschreiben des Wortes FUT. Der/die zweite fügt irgendwann, in tabu-respektierender Absicht, das Strichlein zum A, sowie den Buchstaben O dazu. Feinspitze schreiben AUTRICHE. www.comandantina.com dusl@falter.at