Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 07/2011
Liebe Frau Andrea,
kürzlich hatte ich faltermässig mit den Wiener Linien zu tun: Ich steuerte eine Straßenbahn der Linie 71 (das durfte ich, weil ich Journalist bin). In diesem Zusammenhang erklärte mir ein Straßenbahnfahrer, er gehöre zu den „Gleis-Behm“. Bus-Chauffeure nenne man Öffi-Intern „die Isolierten“. Wieso das so ist, konnte mir der Mann nicht erklären. Vielleicht hast Du eine Ahnung?
Dein Christopher Wurmdobler, per Hauspost
Lieber Christopher,
mit Deiner 71erfahrt bist Du in ein Universum eingetaucht, in dem selbst die meisten eingeborenen Wiener nur tangentiale Erfahrungen machen. In der Welt von Bim und Bus sind die p.t. Fahrgäste zur Passivität verdammt, der Fahrer ist der King. King allerdings würde kein Wiener sagen, denn der Wagenlenker heisst Dramwehschaföa (Tramway-Chauffeur). Der Ausdruck Gleis-Behm (Gleis-Böhmen) ist eine Analogie zu Ziegel-Behm und bezeichnete im späten 19ten, frühen 20ten Jahrhundert Arbeiter aus den Kronländern Böhmen und Mähren. Gleis-Behm waren bei Bau und Erhaltung des Wiener Strassenbahnnetzes beschäftigt. Bis in die 1950er-Jahre waren als Gleis-Behm auch die, vom Wienerliedersänger Turl Wiener besungenen Tramwayschienenritzenkratzer bekannt. Diese waren (meist ungelernte) Arbeiter, die die Strassenbahnschienen sauber hielten, indem sie mithilfe einer stockähnlichen Spezialschaufel oder eines kurzen und steif gebundenen Rutenbesens, der am anderen Stielende ein zugespitztes Flacheisen trug, den Schmutz entfernten. Diese Schienenkratzerei war besonders an den Weichen notwendig. Nach der Reinigung wurde die Weichen, aber auch Kurvenstücke, mit einer Schwemme aus Wasser und Graphitpulver ausgegossen, um einerseits ein leichtes Funktionieren zu gewähren und andererseits ein quietschendes Geräusch beim Befahren zu verhindern. Heute werden statt der Gleis-Behm Schienenreinigungsfahrzeuge eingesetzt. Mit dem Ausdruck “Isolierte” bezeichnen die Angehörigen der Wiener Linien ihre Kollegen Buschauffeure. Die Isolierten sind isoliert, weil sie auf Gummireifen fahren, während die Metallräder der Straßenbahn dazu dienen, den über die Oberleitung aufgenommenen Strom über die Schienen abzuleiten (und somit unter Strom stehen). Bimbim!www.comandantina.com dusl@falter.at