Premiumsprudel im Diskursdepot

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 50/20102200 Netto
Liebe Frau Andrea,
neulich war ich mit Wiener Freunden in einem kleinen Lokal, dessen Namen ich vergessen habe. Alles dort war spartanisch. Die Stühle waren aus Sperrholz und hatten Löcher. Nicht einmal das Cola hatte einen Namen. Jetzt habe ich hier auf Fäsbuch ein Bild gesehen, wo diese Tische drauf waren. Mit dem Cola. Bitte, wie heisst das Lokal und wie das seltsame Cola?
Gerald Kern, ‪Salzburg‬, per Gesichtsbuchdirektnachricht
Lieber Gerald,
gewiss jausneten Sie im Café Depot in der Breite Gasse 3, schräg gegenüber vom westlichen Durchgang zum Museumsquartier. Hier hat die Diskurswerkstatt Depot ihr Zelt aufgeschlagen. Der “Offene Raum zur Herstellung kritischer Öffentlichkeit” wurde in den 90ern von Stella Rollig (ursprünglich im Muqua) gegründet und später vom grünen Kultursprecher Wolfgang Zinggl weitergeführt. Hunderte Kulturschaffende und Diskursbegleiter haben im Depot vor und mit qualifiziertem Publikum debattiert, Leute vom Range Gudrun Axeli-Knapps, Ghislaine Boddingtons und Umberto Galimbertis, von jenem Rupa Huqs und Per Platous. Der strassenseitige Raum des ehemaligen Möbelgeschäfts wird als rauchfreies Berlinmittecafé geführt, man sitzt auf Roland Rainers berühmten Stadthallensesseln an No-Design-Tischen aus MDF-Platten. Für Nikotinisten gibt es Leih-Ponchos. Die Cola, die Sie tranken, war Sprudel der deutschen Marke Premium. Die Avantgardelimonade wird von einem Non-Profit-Kollektiv um den Kölner Langzeitstudenten Uwe Lübbermann produziert und vertrieben, nachdem Afri Cola, die Lieblingsbrause der Clique, einen Geschmackwechsel vorgenommen hatte. Markenzeichen von Premium ist das reduzierte Design der klaren Flasche: Ein weißer Kronkorken und ein schlichtes schwarzes, logoloses Etikett, auf dem in kleinen Buchstaben Lübbermanns Hamburger Privatadresse, der Name des “korrekten Erfrischungsgetränks” und die Zutaten vermerkt sind: Wasser, Zucker, Kohlen- und Phosphorsäure, Koffein, Aromen und die moralischen Ingredienzen “Geschichte, Kraft, Geschmack, Aufrichtigkeit, Konsequenz und Leben”. Premium Cola schmeckt wie Schulschikurs 1975 mal DDR vor der Wende und hat mit 250 mg/l eine besonders starke, gerade noch erlaubte Koffeindröhnung. Das puscht knapp sechsmal so heftig wie normale Cola.
www.comandantina.com dusl@falter.at

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