Synagoge, Donau, Schweighof und Schmalzhof

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 46/2010
Liebe Frau Andrea,
letztens im „Donau“ erzählte mir ein Begleiter aus Deutschland, das Lokal würde sich, seinem Wien-Reiseführer zufolge, in den Gemäuern einer ehemaligen Synagoge befinden. Einem diffusen Unbehagen folgend habe ich das später gegoogelt und dieselbe Behauptung auch auf einigen Lokaltipp-Seiten im Internet gefunden. Im siebten Bezirk, wo sich das „Donau“ befindet, hat es aber nie eine Synagoge gegeben hat. Was wissen Sie von diesem Gerücht, das ohne Unbehagen copygepastet wird und wofür wurde das Gebäude tatsächlich erbaut?
Mit freundlichsten Grüßen, Danica Popović
aus der Awarenvorstadt
Liebe Danica,
noch 1935 gab es in Wien sechs Tempel, 89 Bethäuser, 55 zeitweilige Beträume, 55 Sprach- und Bibelschulen. Wofür auch immer das Parterre des Neubauer Hauses Karl-Schweighofer-Gasse 10 im Laufe seiner Geschichte genutzt wurde – in der Gründerzeit waren die prächtigen Gewölbe der Schauraum der Carl-Schweighofer-Pianoforte-Fabrik – Synagoge war es keine. Eine Mystifikation dieser Art ist als Ettore-Coriolis-Hoax bekannt, benannt nach dem Schriftsteller und Journalisten der Mailänder Zeitung “Il Panorama universale” (geboren 1831 in Padua, ertrunken am 4. März 1861 bei einem Schiffsunglück im Mittelmeer.) Seinen Ausgang nahm der Ettore-Coriolis-Hoax, eine falsche Kombination richtiger Informationen, vor knapp 10 Jahren mit einer Kurzbeschreibung der Avantgarde-Disco “Donau” in einem DuMont-Führer über Wien. Die fälschliche Verknüpfung von Underground-Club und Synagoge schrieben, wie Jan Tabor herausfand, dutzende andere Reiseführerautoren hier ab. Was aber waren die Komponenten dieses Ettore-Coriolis-Hoaxes? In der Karl-Schweighofer-Gasse 4 befand sich bis 1938/39 eine der 13 Filialen des jüdischen Krankenunterstützungsvereins Chesed schel Emes (Die wahre Wohltätigkeit), in der Schmalzhofgasse in Mariahilf der berühmte, 1883/84 im neogotischen Stil errichtete und während der Novemberpogrome 1938 vernichtete Schmalzhoftempel. Nu. Aus Schmalzhof wurde Schweighof, aus den Schauräumen eines gründerzeitlichen Klavierfabrikanten ein neogotischer Tempel und aus Chesed schel Emes auf Nummer Vier eine DJ-Synagoge auf Nummer Zehn. Le chaim!
www.comandantina.com dusl@falter.at

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