Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 26/2010
Liebe Frau Andrea,
glauben Sie, dass ich etwas versäumt habe, indem ich nicht zu Dichands Begräbnis gegangen bin?
Gerhard Edlinger, Radmer, Steiermark, per Elektro-Post
Lieber Gerhard,
für einen Abschied von Hans Dichand hätten Sie am 17. Juni 2010 sehr früh aufstehen müssen. Meinen Berechnungen zufolge wäre 4 Uhr morgens gerade noch rechtzeitig gewesen, um aus der Feder zu hüpfen, einen Espresso zu stürzen und gekampelt und geschneutzt die 217 Auto-Kilometer vom obersteirischen Radmer bis zum Grinzinger Friedhof zurückzulegen. Hätten Sie nicht die südliche Route über die 115er, die S6 und die A6 genommen, sondern die nördliche (eigentlich kürzere) über die Erlauftal-Bundesstrasse, die B39 und die Westautobahn, hätten Sie den bereiften Untersatz sogar 10 Minuten früher besteigen müssen. Kurz vor 7 Uhr 30 am Grinzinger Friedhof angekommen, hätten Sie erst den Körperwächtern und dann den etwa 50 anwesenden Familienangehörigen und Freunden des begnadeten Blattmachers glaubhaft machen müssen, kein Aussenstehender zu sein. Spekulationen über einen Erfolg dieses, doch sehr intimen Begehrs, möchte ich keine anstrengen. Welche Versäumnisse Ihr Nichterscheinen mit sich bringt, kann ich aufgrund der schütteren Nachrichtenlage – beim Begräbnis herrschte Journalismusverbot – nicht sagen. Wir wollen also die Kunst zu Rate ziehen. In seinem, 2008 erschienenen Roman “Sofort verhaften!” schildert Stephan Eibel Erzberg das Begräbnis eines Zeitungszaren namens “Nebochant”. In einer bitterblumigen Szene beschreibt er, wie “Proletenleser, Deppenleser und Funsenleserinnen” aus Zorn über den zynischen Inhalt von Nebochants geheimen Demagogiebuch das Erste-Klasse-Begräbnis stürmen und sich, zum Entsetzen der Trauergäste – unter ihnen der Sonntagskolumnist Kardinal Aufrecht – auf dem Grab ihrer Körperflüssigkeiten entledigen. Es kommt zu Aufweichungen des Funeralsitus, in deren Folge noble Trauergäste in die Grube stürzen. Unter ihnen der Kardinal samt Bischofsstab, ein Ex-Bundeskanzler namens “Ehrlich” sowie der Ex-Innenminister “Wägerl”. Weitere Unsaussprechlichkeiten der “Proleten, Deppen und Funsen” finden statt, es entsteht ein “echter Gupf, aus dem eine Blockflöte herausschaut.” Vorgänge dieser literarischen Qualität sind vom Grinzinger Friedhof nicht bekannt geworden.
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