Gold, Pokal und Gazzingas Spiralen

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 23/2010
Liebe Frau Andrea,
jetzt geht es also dann los mit dem ganzen Fussball-Wahnsinn. Tag und Nacht Dauerberieselung mit Fussballnachrichten. Freunde (und manche Freundinnen) im Ausnahmezustand. Es geht um diesen goldenen Pokal. Dabei sieht der doch gar nicht aus wie ein Pokal. Was hat’s mit diesem Siegerpreis?
 
Liebe Grüsse, Tobias Ziegler, 
Boboville, per Elektronachricht
Lieber Tobias,
der FIFA WM-Pokal ™ ist die meist begehrte Siegertrophäe der Fußballwelt. Sie wird der Gewinnermannschaft der Fussball-Weltmeisterschaft der Männer verliehen. Ideengeschichtlich ist das goldene Gefäss für die Sieger ein Echo auf die Beute marodierender Soldaten. In goldenen Schüsseln, Kelchen und Pokalen dürfen wir Beutegut aus Tempeln und Schatzkammern sehen. Der aktuelle Pokal ist die zweite Generation des erlesenen Pokals, die erste war nach dem damaligen FIFA-Präsidenten Jules Rimet benannt, der Becher blieb nach Brasiliens drittem WM-Triumph dauerhaft im Besitz der Seleção. 1983 wurde er in Rio de Janeiro gestohlen und tauchte nie wieder auf. 1971 entwarf der italienische Bildhauer Silvio Gazzinga, Schöpfer von Grossplastiken wie dem „Denkmal des gefallenen Motorradfahrers“ für die 74er-Weltmeisterschaft eine flaschengrosse Goldstatue. Sie ist aus 18-karätigem Gold gegossen, innen hohl und praktikable 6,175 kg leicht. (Massiv brächte sie etwa 80 Kilogramm auf die Waage). Gazzinga beschrieb seinen Entwurf bei der Einreichung mit blumigen Worten: „Aus der Basis entspringen Linien, die sich in Spiralen nach oben winden und die ganze Welt aufnehmen. Aus der dynamischen Spannung der kompakten Skulptur sind die Darstellungen zweier Spieler im bewegenden Moment des Sieges herausgearbeitet“. Nunja. Die tropfenförmige Trophäe ist an ihrem Fuß von grünen Malachitringen umkränzt und verzeichnet an der Unterseite, spartanisch graviert, die bisherigen Gewinner. Stationiert ist der Originalpokal in Zürich, die Gewinnermannschaften erhalten nur eine vergoldete Kopie. Der einzige Privatmann auf Erden, der ebenfalls eine Kopie des Pokals besitzt, ist der schwäbische Unternehmer Rolf Deyhle, Schöpfer des FIFA-Logos. Ein anderer Deutscher hatte den Originalpokal 1974 als erster in WM-Händen. Kaiser Franz. Beckenbauer.

www.comandantina.com dusl@falter.at

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