Über den Urlaub

Für meine Gast-Kolumne ‚Lebensart‘ in den Salzburger Nachrichten vom 01. August 2009
Urlaub.jpgWer von uns erinnert sich nicht daran? An den ersten Sommer am Strand, an „Azzurro“ von Adriano Celentano und „Ti amo“ von Umberto Tozzi, an bunte Liegestühle, die abblätternde Farbe an den Badehäuschen, an ausgeblichene Schirme, Melonenverkäufer und brennheißen Sand. Wer erinnert sich nicht ans Luftmatratzenaufpumpen, Sandburgbauen und den ungleichen Kampf zwischen Sonnenöl und roter Haut. Wer kennt nicht den Geruch von staubtrockenen Krimiseiten, in der prallen Mittagssonne als Schattenwedel aufs Gesicht gelegt? Wer hat nie Muscheln aus den Schaumzungen der Wellenzipfel gefischt, dampfende Pasta Asciutta gewickelt und am Corso radebrechend Stracciatella con Nocciola bestellt?
Der Urlaub an der Adria gehört zum kollektiven Gedächtnis der Österreicher, das Italien der Strände zu ihren prägenden Erfahrungen im Ausland.
Warum tun sich das die Österreicher an? Weil sie es nicht anders gelernt haben. Der wichtigste Urlaub im Leben der Österreicher hat seinen Ursprung in den Sommerferien. Traditionell haben Österreichs Kinder in den Monaten Juli und August schulfrei. Das war immer schon so. Und es hat nicht damit zu tun, dass es während dieser Zeit in den Schulen zu heiß ist. Und auch nicht damit, dass Lehrer zwei Monate Ruhe zur Vorbereitung brauchen. Der Österreichische Sommerurlaub hat wirtschaftshistorische Gründe.
Weil das Gebiet des heutigen Österreich ein mäßig industrialisiertes Bauernland war, konnten Kinder sommers gar nicht in die Schule gehen. Sie wurden auf dem Feld gebraucht. Zur Einbringung der Ernte. Harte Zeiten für kleine Kinderkörper. Hart und heiß. Sonnenöl gab es nicht. Und kein Stracciatella-Eis.
Amtsstuben wurden dichtgemacht. Parlamente parlierten nicht und Landtage tagten nicht. Ministerien und Ämter reduzierten ihre Aktivitäten auf das Luftzufächeln mürrischer Portiere. Auch Großgrundbesitzer und Aristokraten mussten im Sommer auf den Acker. Die Herren sahen auf den fernen Gütern, deren Fruchtgenuss ihnen Reichtum und Stand sicherte, nach dem Rechten. Die Familien reisten gleich mit auf die Güter. Die Sommerfrische war erfunden.
Strandurlaube hatten medizinischen Charakter und waren vom Medikus verordnet. Die allerersten österreichischen Meerurlauber waren schwindsüchtige Töchterln und frauenleidende Gattinnen, tuberkulose Söhnchen und frischlufthungrige Mätressen. Die österreichischen Meerkurorte eiferten den großen Vorbildern an der Côte d’Azur und deren Publikum nach und orientierten sich an der Strandpromenadenlust der zaristischen Aristokratie und des englischen Adels. Hier liegt der Ursprung jeden Jesolo-Urlaubs. Die österreichische Sehnsucht nach dem oberadriatischen Meer verband sich mit den Italienüberfällen der deutschen Wirtschaftswunderkinder zu einem deutsch-österreichischen Adriafimmel.
Auch wenn die Durchschnittsfamilie mittlerweile auf Sardinien und Mallorca, an Schwarzmeerküste, Indischem Ozean und in der Karibik planscht, das Maß aller Dinge wird stets der Urlaub am oberadriatischen Badestrand sein, der von den heißen Pinienwäldern ins flache und friedliche Kleinmeer läuft. Azzurro. Con gelato.
Andrea Maria Dusl ist Filmregisseurin und Autorin.

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