Der Iran ist weit weg

Für meine Gast-Kolumne ‚Lebensart‘ in den Salzburger Nachrichten vom 18. Juli 2009
Jubelperser.jpgAm 2. Juni besuchte der iranische Präsident die Hauptstadt. Bei seiner Ankunft demonstrierten rund 400 Dissidenten, riefen „Mörder, Mörder“ und forderten Amnestie für politische Gefangene. Sie trafen auf etwa 100 Präsidentenanhänger, darunter Agenten des iranisches Geheimdienstes.
Nach dem Eintritt des Präsidenten in das Rathaus der Hauptstadt griffen diese „Jubelperser“ die Gegendemonstranten plötzlich mit Holzlatten, Schlagstöcken und Stahlrohren an. Die anwesende Polizei griff bei der blutigen Prügelei nicht ein. Am Abend, anlässlich einer musikalischen Darbietung zu Ehren des Präsidenten, sollte sich die Gewalt schließlich weiter zuspitzen. Gegen 20.30 Uhr fiel ein Schuss, der den 26-jährigen Romanistik- und Germanistik-Studenten B. O. aus etwa eineinhalb Metern Entfernung in den Hinterkopf traf. Die Tat eines einzelnen Polizisten führte zu einer Ausbreitung und Radikalisierung der oppositionellen Studentenbewegung.
Klingt vertraut? Innenpolitische Nachrichten aus dem Iran lesen wir seit der „Wiederwahl“ des iranischen Machthabers Mahmud Achmadinedschad wieder häufiger. Aber obiger Text stammt gar nicht aus dem Iran. Ersetzen wir Präsident durch Schah Mohammad Reza Pahlewi, Hauptstadt durch West-Berlin und B. O. durch Benno Ohnesorg, folgt er faktengetreu einem Artikel in „DIE ZEIT“, datiert vom 30. Juni 1967. Der verblüffend aktuelle Text beleuchtete die Vorgänge, die zu den radikalen Studentenprotesten in West-Berlin und der BRD führen sollten.
Der Iran war nie weit weg.
Er liegt hinter der hintersten Türkei, weiter weg als der Irak und wird regiert von Männern mit langen Bärten, bösen Augen und schwarzen Turbanen. Jüngst hat die Mullohkratie, am 1. April 1979 von einem Exil-Ayatollah namens Ruhollah Khomeini eingeführt, wieder von sich reden gemacht. Der jackentragende Achmadinedschad, ein bäuerlicher Hardliner, der an mittelalterliche Religionsgesetze ebenso fanatisch glaubt wie an die normative Kraft der Atombombe, hat bei den jüngsten Wahlen einen „Erdrutschsieg“ eingefahren. Die unterlegenen Präsidentschaftskandidaten haben ihre Anhänger auf die Straße geschickt und sprechen von Wahlbetrug. Die Zivilgesellschaft bot sich blutige Straßenschlachten mit Polizei und Religionsmilizen. Die Proteste verloren rasch an Kraft. Die Regierung hat für Ruhe gesorgt. In den Schlagzeilen der Weltpresse kommt der Iran nicht mehr vor.
Der Iran ist weit weg. Gäbe es nicht Bistoon, MikVerbrugge, Sp4rrowh4wk, NiteOwl, Persiankiwi, Bijan und Oxfordgirl. Junge Iranerinnen und Iraner, die über den einzigen verbliebenen Kanal, den Internetdienst Twitter, Nachrichten aus dem Iran in die Welt kassibern. Wie Millionen andere der ebenso jungen wie gut ausgebildeten urbanen Mittelschicht sehnen sie sich nach Liberté, Égalité, Fraternité. Und nach einem laizistischen Staat. Sie wollen Ehebrecher nicht gesteinigt wissen und Schwule nicht an Baukränen hängen sehen. Sie möchte, so formulierte es eine junge Iranerin, „den Wind in ihren Haaren spüren“. Ohne dafür Stockschläge zu bekommen. Der Iran ist weit weg? Der Iran ist ganz nah.
Andrea Maria Dusl ist Filmregisseurin und Autorin.

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