Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 37/2009
Liebe Frau Andrea,
beim Befahren des Semmerings mit einer Taurus-Lok fiel mir auf, dass diese beim Anfahren eine Tonfolge von sich gab. Wurde das beabsichtigt? Um welche Intervalle handelt es sich und wie kommen diese zustande? Rätsel über Rätsel! Ich vertraue auf Sie. Mit besten Grüßen,
Petra Herbek-Nechvatal, per Elektropost
Liebe Petra,
die von Ihnen auf hochromantischer Bergstrecke belauschte Lokomotive ist nicht nur hochmusikalisch, sie gilt auch als schnellste der Welt. Am 2. September 2006 stellte eine Siemens-Elektromotive vom Typ EuroSprinter 64 U4 (bei den ÖBB als Taurus III oder Typ 1216 bekannt) einen Geschwindigkeits-Weltrekord für handelsübliche E-Loks auf. Im mittelfränkischen Hilpoltstein, 30 km südlich von Nürnberg gelegen, beschleunigte eine 8.583 PS starke Taurus auf sagenhafte 357,0 km/h. Damit egalisierte sie den Rekord einer französischen Lokomotive, die 54 Jahre zuvor mit 331 km/h dahingetschindert war. Die Sounds, die Tauren beim Anfahren von sich geben, sind tatsächlich eine Tonfolge. Und sie sind das Ergebnis komplizierter elektrotechnischer Vorgänge, in deren genauer Beschreibung die Begriffe Frequenzsteuerung, Vierquadrantensteller, Wechselstrom, Gleichstrom, Pulsbreitenmodulation, Drehstrom, Pulswechselrichter, Fahrmotor, Fahrleitungsspannung, Kondensator, Spannungszwischenkreis, Einspeisung, Zwischenkreisspannung, Sinuswert, Pulsweitenmodulation, Asynchronmaschine, Fahrmotorwicklung, Taktfrequenz, Umrichter und Geräusch vorkommen. Um es kurz zu sagen: Techniker können die Taurus so einstellen, dass sie beim Anfahren Melodien von sich gibt. Spasseshalber waren in frühen Exemplaren schon die Lieder „Wer soll das bezahlen, wer hat soviel Geld“, „Es fährt ein Zug nach nirgendwo“ und ähnliche Programmmusik zu hören gewesen. Das p.t. Bahnpublikum soll nur auf die Österreichische Bundeshymne positiv reagiert haben, und auch das nur in Maßen. Was blieb, ist die Tonfolge GAHCDEFGAHCD. Musiker kennen diese Variante der C-Dur-Tonleiter als G-mixolydische Tonleiter. Nichtpianisten können die Taurusmelodie jederzeit auf den weisse Tasten auf dem Klaviers anspielen. Für wahrhaftige Taurus-Coverversionen sollen Bahnfreunde allerdings ein Cello verwenden.
www.comandantina.com dusl@falter.at
………………….
Meine Schwester hat einmal einen Lokführer gefragt, warum die Taurus singt. Die Antwort war, daß die Lok derart leise ist, daß das Abfahren von am Bahnsteig Stehenden nicht bemerkt werden würde. Um gefährliche Situationen zu vermeiden hätte man die Piepserei programmiert. Ich geb ja zu, die Taurus ist eine tolle Lok, und wirklich musikalisch – ein Dampfpfeiferl und das langsame Zischen und Schnauben einer Dampflok kann sie aber nicht ersetzen