Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 31/2009
Liebe Frau Andrea,
neulich bin ich durch eine Wiener Einkaufsstrasse gegangen, war es die Alserstrasse oder die Gumpendorfer, ich weiß es nicht mehr, jedenfalls hab ich ein Paar Schuhe, an den Schnürsenkeln verknüpft, an den Drähten der Strassenbeleuchtung baumeln gesehen. Sowas, nur in grösserer Menge hab ich auch schon in Madrid gesehen. Wird das jetzt Usus bei uns und was bedeutet es?
Beste Grüsse aus Wien Fünfhaus,
Benedikt Pöttler, per twitter DM
Lieber Benedikt,
ich habe mir erlaubt, Ihr 140-Zeichen-tweet aus der twitterlingo ins Falterdeutsche zu übersetzen. Das Schuhtossen oder Schuhwerfen ist Teil einer urbanen Folklore, die weltweit, von Kanada bis Peru, von Schweden bis Rumänien beobachtet wird. Für das Phänomen, Schuhpaare über Stromleitungen und Telefondrähte zu werfen, gibt es eine Reihe von Erklärungsansätzen. In den derangierten Ghettos amerikanischer Großstädte zeigen Shoefitis Crack-Häuser und Drogenumschlagplätze an. Auch Morden im lokalen Bandenmilieu wird mit getossten Sneakers gedacht. Weniger sinister sind die Schuhwurfgründe in europäischen Gegenden. Sie reichen von der anonymen Jubelanzeige des ersten Poppens bis zum Entledigen verhasster Rekrutenstiefel nach absolviertem Militärdienst. In Österreich darf immer auch an Streiche unter Alkoholisierten und milieubedingte Auffälligkeiten gedacht werden. In manchen Ländern künden hängenden Schuhe vom Tod oder dem erfolgten Wegziehen einer Person aus der Nachbarschaft. Gemeinsam scheint allen Erklärungen zu sein, dass die baumelnden Schuhe den Übertritt ihrer Besitzers in eine andere Welt repräsentieren. An den Schnürsenkeln miteinander verbundene Schuhe werden aber nicht nur über Leitungen geworfen. Auch alleinstehende Bäume erfreuen sich grosser Beliebtheit unter Schuhtossern. In den USA sind mindestens 67 solche Shoe-Trees bekannt. Die bekannteste Referenz stammt aus Barry Levinsons Film ”Wag the Dog”, wo das Schuhewerfen zu einer landesweiten Patriotismusmanifestation zu Ehren eines (gefakterweise) im Bürgerkriegs-Albanien verschollenen US-Army-Sergants wird. Der Spitzname des instrumentalisierten “Helden” William Schumann ist bezeichnenderweise “Shoe”.
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