Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 19/2009
Liebe Frau Andrea,
täglich jagt eine Schreckensmeldung die andere, die Schweinegrippe greift um sich, eine Pandemie droht. Das Schwein ist böse! Wussten das schon die Schreiber des Alten Testaments?
Herzliche Grüße,
Elisabeth Cahon, Leopoldstadt, per Elektropost
Liebe Elisabeth,
mit Schweinegrippe wird eine Infektionserkrankung mit dem Humaninfluenzavirus A/H1N1 bezeichnet. Dieser Grippe-Subtyp wurde von Richard E. Shope 1931 im Journal of Experimental Medicine erstmals beschrieben. Weil der Nachweis aus Schweinen erfolgt war, firmiert diese Grippe unter dem Namen Schweineinfluenz. Mit Kaschrut und Halal, den religiösen Vorschriften von orthodoxen Juden und strenggläubigen Moslems den Konsum von Schweinefleisch bezüglich hat diese virologische Erkenntnis indes nichts zu tun. Auch die Tatsache, dass Schweinefleisch mit winzigen Fadenwürmern, den Trichinen befallen sein kann, hat auf die Speisegesetze keinen Einfluss, denn die winzigen Parasiten waren den Autoren von Tora und Koran nicht bekannt. Für Juden ist laut Moses’ 3. und 5. Buch Wajikra (Leviticus) 11,7-8 und Debarim (Deuteronomium) 14,8 der Konsum von Schweinefleisch deswegen verboten, weil das Schwein, obzwar es ganz gespaltene Hufe hat, nicht wiederkäut. Im Koran beschäftigen sich die Verse 2:173 und 16:115 mit dem Verbot von Schweinefleisch. Frühe Exegeten haben die orientalischen Schweinefleisch-Tabus damit erklärt, dass Schweine sich mit Vorliebe im Dreck wälzten, Kot und Aas frässen und deshalb im hygienischen Sinn als “unrein” gälten. Archäologische Funde belegen, dass im Nahen Osten zur Zeit des Neolithikums Schweine gehalten und gegessen wurden. Mit dem Verschwinden schattenspendender Eichen- und Buchenwälder, sei es, so der US-amerikanische Anthropologe Marvin Harris, ökologisch unklug gewesen, Schweine zu halten. Im Gegensatz zu Wiederkäuern können sie keine Pflanzen mit hohem Zellulosegehalt verdauen. Als Haustiere müssen sie, statt mit Gras mit Getreide oder anderen Feldfrüchten gefüttert werden. Dadurch wurden sie zu direkten Nahrungskonkurrenten des Menschen. Unter dieser religiös-ökonomisch argumentierten Schicht verbirgt sich indes ein noch viel grösseres Tabu. Weil Schweine auch Fleisch und Aas konsumieren, machen sie als bodengrabende Tiere auch davor nicht halt, flache Gräber zu öffnen und von menschlichen Leichen zu fressen. Ein ähnliches Tabu entstand für indonesische und thailändische Fischer nach der Tsunamikatastrophe vom 26. Dezember 2004. Sie weigerten sich, ihren Beruf weiter nachzugehen, weil Fische, so ihr Verdacht, von den, durch den Tsunami ins Meer gespülten Toten ässen.
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