Vier Tage

Für meine Gast-Kolumne ‚Lebensart‘ in den Salzburger Nachrichten vom 2.Mai.2009
Utah ist ein Staat im Südwesten der Vereinigten Staaten. Das ferne Mormonen-Ländchen in der Wüstensteppe nennt sich selbst gern „The Beehive State“, der Bienenstockstaat. Die Hauptstadt Salt Lake City wurde vom US-Magazin „Fortune“ im Jahre 1990 wegen der Qualität und Motivation seiner Arbeitskräfte gar zur „Nr. 1 U. S. City in which to do Business“ ernannt. Die Menschen in Utah dürfen also gemeinhin als fleißig erachtet werden. Bienenfleißig. Trotzdem hat Jon Huntsman Jr., Gouverneur des amerikanischen Bundesstaats, letztes Jahr eine bemerkenswerte Maßnahme für die 18.000 Staatsbediensteten seines Landes eingeführt. Die Vier-Tage-Woche.
Die Idee war eine ökonomische. Huntsman erhoffte sich durch die Aufteilung der 40-Stunden-Woche auf vier Tage eine Energieersparnis von einem Fünftel. Kein Pappenstiel in einer Zeit explodierender Ölpreise. Ein knappes Jahr ist seither vergangen, erste Ergebnisse von Huntsmans Maßnahme liegen vor. Die Energieersparnis blieb unter den Erwartungen, was aber überraschte, war die Tatsache, dass weit mehr als ein Drittel der Betroffenen mit großer Begeisterung hinter dem Konzept von vier Tagen Arbeit und drei Tagen Wochenende steht. Noch verblüffender aber ist die Erkenntnis, dass Produktivität und Arbeitsmoral gestiegen, die Krankenstände aber gleichzeitig gesunken sind. Weniger ist also mehr. Bedeutend mehr. Und ich wage die Behauptung, auch die zwei Stunden Mehrarbeit pro Tag ließen sich locker einsparen und verlustfrei in Glück und Gloria umwandeln.
Weniger könnte, wie es scheint, tatsächlich zum neuen „Mehr“ werden. Auch andere Bundesstaaten erwägen angesichts von Weltwirtschaf tskrise und politischem Paradigmenwechsel die Einführung der Huntsman’ schen Ideen.
Dürfen’ s denn des? Sie dürfen. Und auch uns in Schnitzelland, der Insel der Seligen, wie wir einmal päpstlicherseits genannt wurden, täte neuer Wind aus dem Mutterland der Ökonomie nicht schlecht. Wir könnten Weniger ganz gut brauchen. Weniger Ruacheln zum Beispiel, um es mal blumig auszudrücken. Weniger Geschwindigkeitsrausch, weniger Produktivitätsfieber und weniger Ausbeutungswahn. Weniger Lügen im Zusammenhang mit Arbeit und Effektivität wären ganz fein, weniger Zwangslagen auf den unteren Stufen der Verdienstpyramide, weniger Gefühle des Ausgeliefertseins auf den mittleren, und weniger Burn-out in den windigen Etagen ganz oben. Weniger Zeitsklaventum möchte ich uns wünschen, weniger Lebenszeitvernichtung, weniger Ungerechtigkeit, weniger Armut, weniger Unglück. Utopische Forderungen? Mitnichten. Menschenrecht.
Was dürfen wir uns erwarten von diesem provokanten Mehr an Weniger? Mehr Zeit mit unseren Kindern, mehr Zeit für uns selbst, mehr Zeit für Freunde. Mehr Schlaf. Mehr Ruhe, mehr Stille, mehr Freiheit. Mehr Freiheit, das zu tun, was uns mit Glück erfüllt. Mehr Seelenheil. Und für die, die noch immer im Spinnennetz des Neoliberalismus kleben, wird dieses Mehr an Weniger auch zu einem Wertzuwachs führen. Zu einem Mehr an Erkenntnis. Keine schlechte Währung übrigens.
Andrea Maria Dusl ist Filmregisseurin und Autorin.

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