Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 16/2009
Liebe Frau Andrea,
in der Wiener Innenstadt finden Umbauarbeiten statt. Jedenfalls hat man am Graben den Straßenbelag temporär durch grünen Kunstrasen ersetzt – was soll das denn? Wäre im roten Wien nicht ein roter Teppich naheliegender gewesen – wobei Frau Stenzel, die Besitzerin der Innenstadt, ja ÖVP ist? Woher kommt überhaupt der rote Teppich und was hat er zu bedeuten?
Vielen Dank, Richard aus der Leopoldstadt, per Elektropost
Lieber Richard,
die Urahnin der Wiener Fußgängerzone, Vorläuferin aller deutschen Fuzos wurde schon in den 1920er Jahren in der Kettwiger Straße in Essen angelegt. Das Konzept einer verkehrsbefreiten Einkaufsmeile sollte nach dem 2. Weltkrieg in den devastierten deutschen Innenstädten zu einem wahren Reigen an Pedonalisierungen führen. 1953 wurde mit der Treppenstrasse in Kassel die erste moderne Fuzo eröffnet, Kiel und Stuttgart folgten kurze Zeit später. Mittlerweile hat sich auch das kleinste europäische Nest dem Phantasma der Flanierzonen und Spazierstrassen ergeben. Die Zentren der europäischen Städte sind ausnahmslos per pedes zugänglich. In Wien brachte der U-Bahn-Bau den finalen Impuls zur Pedestrifizierung. Ein erstes Provisorium, der „Weihnachtskorso“ von 1971 auf der Kärntner Straße war so erfolgreich gewesen, dass es unbefristet verlängert wurde. Seit den späten Siebzigern ist die Wiener Fußgängerzone urbane Realität. Dreissig Jahre später sollen die Spuren, die Milliarden müde Toruristenschritte und Millionen morgendliche Lastwagenfuhren in den Pflasterungen von Kärntner Strasse, Kohlmarkt und Graben hinterlassen haben, saniert werden. Gerade eben wird in mehreren Etappen eine neue Fussgängerzonenoberfläche installiert. Statt durchgeknallter Trinkbrunnen wird es Magnolienbäume geben, der Schanigartenwildwuchs wird neu frisiert. Der von ihnen beobachte, sicherlich provisorische Kunstrasen mag ein schlecht kommuniziertes Kunstprokjekt sein, wobei als Urheber nicht unbedingt an Künstler gedacht werden muss. Auch eine Autrorenschaft von Magistratsbeamten ist denkbar. Das Verlegen eines roten Teppichs sollte bei allem Verständnis für die Regentschaftsrituale von Bezirksvorsteherin Ursula Stenzel nicht befürchtet werden. Die moderne Sitte, bei VIP-Alarm rote Läufer zu verlegen, darf trotz aller Verdachtsmomente in Richtung Mittelalter in den USA verortet werden. 1902 verlegte die New York Central Railroad den ersten roten Plüschteppich. Als Leitsystem, um Passagiere des 20th Century Limited zu navigieren, des Eilzugs New York- Chicago, zu seiner Zeit die wichtigste Zugverbindung der Welt. www.comandantina.com dusl@falter.at