Für meine Gast-Kolumne ‚Lebensart‘ in den Salzburger Nachrichten vom 4. April 2009
Dieser Tage erinnere ich mich oft an meine Kindheit. Die späten Sechzigerjahre. Die Welt flirrte vor Ideen. In Paris rissen sie Pflastersteine aus dem Boulevard und forderten eine bessere Welt, das Yellow Submarine befuhr den Ozean der Fantasie und auf dem Trabanten hüpften amerikanische Space-Konquistadoren durch den Sternenstaub. Sogar die Sowjetunion war noch voller Energie. Es war keine gute Welt, die Welt meiner Kindheit, aber sie war voll Zauber und voll Zuversicht. Sie war voll Zukunft.
Die Zukunft ist uns gründlich misslungen. In Paris brennen noch immer die Mistkübeln, statt mit dem Fantasie-U-Boot durch die Beatles-Welt fahren wir mit grottenhässlichen SUVs über löchrige Stadtautobahnen, der Mond ist zum faden Wrack verkommen und den Namen Sowjetunion kennen nur mehr die Historiker. Den Frühlingshauch meiner Kinderzukunft hat der neoliberale Turbo-Kapitalismus mit Monopolen und Kurscasinos asphaltiert, mit Mega-Unternehmen und Manager-Oligarchien. Und zwar gründlich. Im Vergleich mit den Konzernadmiralen von heute waren Dschingis Khan und Ivan der Schreckliche verzärtelte Sensibelchen.
Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut. Das war das Credo. Es klang gut und das sollte es auch, aber es war eine Lüge. Denn je besser es der Wirtschaft ging, desto besser ging es der Wirtschaft.
Und uns allen? Uns allen wurde das Weiße aus den Augen geholt. Jetzt geht’s der Wirtschaft schlecht und uns allen noch schlechter. Die Hedgefonds sagen, wir waren’s nicht, wir haben nur an unsere Anleger gedacht, die Anleger sagen, wir waren’s nicht, die Regierung hätte die Märkte besser kontrollieren müssen, die Märkte sagen, wir waren’s auch nicht, man hätte nicht dieses, man hätte nicht jenes. Und wenn niemandem ein Schuldiger einfällt, bleibt immer noch Bush. Bush ist an allem schuld. Bush und die Leute hinter Bush. Die Hinterbushisten. Die Neo-Cons. Die Ultra-Globalisierer. Und Bush würde, ganz ohne die Einflüsterungen der Hinterbushisten, wären noch Kameras auf ihn gerichtet, die zwei Gehirnwindungen über seiner Nasenwurzel runzeln, die Cowboy-Augen kneifen und das Zauberwort sagen: Osama bin Laden. Aber Osama gibt es nicht mehr. Und Bush gibt es nicht mehr.
Jetzt haben wir Obama und die größte Krise seit Menschengedenken. Sagen die Krisenforscher. Es wird noch furchtbar werden, sagen die Furchtbarkeitsforscher. Obama wird scheitern, sagen die Hinterbushisten. Wo ist das Yellow Submarine?, frage ich. Man müsste es besteigen und neu auf die Reise gehen. Wo sind die Denker, die uns jetzt die Zukunft ausdenken? Wir sollten sie mitnehmen im Yellow Submarine. Auf Forschungsreise gehen. Wo sind die Pflastersteinausreißer, die uns die neuen Wege ebnen? Wo die Utopisten? Wo die Aufklärer und Humanisten? Wo die Vordenker, Nachdenker, Querdenker? Wo ist der neue Mond, auf dem die Menschheit Fußabdrücke hinterlassen will?
Wo ist die Zuversicht, wo der Zauber? Wo ist unsere Zukunft?
Andrea Maria Dusl ist Filmregisseurin und Autorin.
Unsere Zukunft liegt überall: Bei Lehmann Brothers, in Mexiko City, in Darfur und bei Opel. Sie liegt dort, wo wir sie sehen, sei es nun in der Krise und wir uns fürchten (wollen) oder sei es in der Hoffnung. Aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass niemand Hoffnung in der Zukunft sehen will. Wir wollen alle einen Reality-Horrorthriller zum Fürchten.