Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 10/2009
Liebe Frau Andrea,
die Stellerin der Frage an Sie in Falter 7/09 meldete sich aus Zwischenbrücken. Wo liegt denn diese Ortschaft? Eher bei Saarbrücken oder doch bei Kettenbrücken. Und gibt es womöglich noch mehr so bizarre Ortsangaben? Freundliche Grüße,
Erdmut aus Überbrücken, per Elektropost
Lieber Erdmut,
mit grosser Wahrscheinlichkeit hat die Leserin mit Zwischenbrücken den historischen Wiener Stadtteil Zwischenbrücken gemeint. Und der liegt weder im Saarland noch an der Wien. Ohne viel Chuzpe könnte man behaupten, er existiere gar nicht. Nicht mehr. Das Gebiet des geschichtlichen Zwischenbrücken (Dswíschnbrúgn) liegt im Osten des heutigen 20. Wiener Gemeindebezirks, der Brigittenau (Brigidenáo), im Norden des heutigen 2. Bezirks, der Leopoldstadt (Lleobóidschdód) und in jenen Teilen von 21. und 22. Bezirk, die heute zwischen Alter Donau und Donauinseldonau liegen. Seinen Namen hatte das flunderflache Augebiet von seiner Lage zwischen den historischen Donaubrücken bei Floridsdorf und beim Inneren Tabor (der etwa dort liegt, wo die Taborstrasse an den Nordost-Zipfel des Augarten klescht). Die Ortsangaben muten deswegen so kryptisch an, weil die Donauregulierung von 1871-75 in Zwischenbrücken keinen Stein auf dem alten gelassen hatte. Mächtige Donauarme, wie das weit verzweigte Kaiserwasser wurden zugeschüttet, Flussinseln planiert, Dörfer und Weiler abgetragen, ein schnurgerader Strom mitten durch die Inselwelt gegraben. Die Bevölkerung wurde nach Donaufeld, Leopoldau und Kaisermühlen umgesiedelt, das Gebiet in der Gründerzeit mit Zinshäusern und Mietskasernen bebaut, zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts mit Gemeindebauten. Die Strassen der neu entstandenen Stadtteile folgten weitgehend einem Schachbrettmuster. Die Fernseh-Blues-Gegend Kaisermühlen liegt ebenso im ehemaligen Zwischenbrücken wie die Wolkenkratzer der Donau-City und wie Donau und Donauinsel zwischen Floridsdorferbrücke und Südosttangente. Eine Zeitreise in das Zwischenbrücken der vorindustriellen Zeit kann man an der Unteren Alten Donau und auf der Badeinsel Gänsehäufel machen. Topographisch ist hier noch alles in Ordnung. Über bizarre Wiener Ortsangaben bald mehr. www.comandantina.com dusl@falter.at
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Liebe Frau Dusl:
Meiner Meinung nach nehmen Sie das historische Zwischenbrücken zu groß an. Kaisermühlen etwa wurde nie Zwischenbrücken genannt oder als Teil davon betrachtet (es lag auf anderen, kleineren Inseln ohne Brücken), das Gänsehäufel auch nicht. Der 22. Bezirk hat mit Z. sehr wenig zu tun.
Mein aus der Mittelschulzeit der sechziger Jahre erhaltener Geschichtsatlas zeigt für die Donauinsel Äußeres Zwischenbrücken etwa folgendes Gebiet: Die Gegend zwischen der heutigen Nordbahnstrecke im 20. Bezirk, der halbkreisförmigen Bahnschleife vom Nordbahnhof zur Donauuferbahn (2. Bezirk) und der Alten Donau vom Wasserpark bis zum Donauturm. Das innere Zwischenbrücken war eine stadtseitig benachbarte, wesentlich kleinere Insel zwischen dem Kaiserwasser und dem Fahnenstangenwasser, das (wie mir ein Plan von 1825 zeigt) beim Mauthaus am Tabor vorbeifloss. Sie erstreckte sich von der Kreuzung Taborstraße / Nordbahnstraße / Dresdner Straße ostwärts bis etwa zur heutigen Haussteinstraße (2. Bezirk).
Ein Stadtplan von 1912 lokalisiert Z. um die genannte Bahnschleife. Knapp nördlich der Bezirksgrenze 2 / 20 bestand damals an der Donauländebahn die Haltestelle Z. Ein Stadtplan von 1892 (damals war das Viertel noch kaum verbaut) und der heutige Freytag-Berndt- Buchplan „verorten“ Z. ebenso. Das Kaiserwasser wurde übrigens, wie der Stadtplan zeigt, nicht zur Gänze zugeschüttet. Der Teil mit der Einmündung in den damaligen Hauptstrom, die heutige Alte Donau, besteht mit dem Namen Kaiserwasser bis heute am Nordrand von Kaisermühlen.
Das neue Z. wurde in der Gründerzeit zuerst einmal mit Fabriken besiedelt. Der Stadtplan von 1912 weist eine Lederfabrik, eine Asphaltfabrik, eine Eisfabrik, eine Gasfabrik, eine Walzmühle und die Schuckertwerke aus. Und wo 1892 am Donaustrom noch ein Wirtshaus und der Ruderklub Lia eingezeichnet waren, breiteten sich 1912 Landungsplätze von Schifffahrtsgesellschaften aus. Wo sich 1912 die Walzmühle breitmachte, finden Sie heute die rechtsufrige Auffahrtsschleife auf die Brigittenauer Brücke und das BFI. Eine Brigittenauer Bezirkschronik von 2003 weist darauf hin, dass Z. wegen des Bedarfs an Fabrikarbeitern damals vor allem von Zuwanderern bewohnt wurde.
Mit besten Grüßen
Wolfgang J. Kraus
kraus@inode.at