Vom Buch der Gesichter

Für meine Kolumne ‚Lebensart‘ in den Salzburger Nachrichten vom 28.02.2009
Facebook-Mom.jpgSicher haben Sie von Facebook gehört. Internet, Dings, eine Spielerei. Wieder so ein Blödsinn wie E-Mail und Popmusik und dieses neue Telefon mit der Glasscheibe. Sie haben Recht. Facebook ist eine Spielerei. Ein Hype, ein Phänomen der Populärkultur, ein Plexiglasperlenspiel. Aber Facebook ist auch ein Aufschrei, eine Revolution.
Was aber ist Facebook überhaupt?
Facebook ist ein Internet-Plauder-Club mit Gratismitgliedschaft. Es finanziert sich durch unscheinbare, personalisierte Werbung. Bevor Facebook zu einem weltumspannenden Netzwerk anwuchs, diente es seinem Erfinder, dem Harvard-Studenden Mark Zuckerberg, dazu, seine Kontakte und Freundschaften mit Uni-Campus-Kommilitonen und Studienkollegen zu organisieren. Profan gesagt, hat der Facebook-Erfinder nichts anderes gemacht, als sein Telefonbuch ins Netz zu stellen und mit einem virtuellen schwarzen Brett und einer Funktion zum Kollegensammeln zu versehen. Öffentliche und private Nachrichten wurden ausgetauscht, Freundschaften gepflegt und geschlossen, Gossip an virtuelle schwarze Bretter gepinnt, Urlaubsbilder und Homevideos online gestellt. Facebook ist auch jetzt nichts anders als eine kleine Campus-Caféteria. Die Maschinerie dahinter ist allerdings auf die Bedürfnisse von 175 Millionen „Freunden“ angewachsen. Facebook ist mittlerweile 15 Milliarden Dollar schwer, Zuckerberg, der sein Harvard-Studium abgebrochen hat, der jüngste Dollar-Milliardär aller Zeiten. Kritiker werfen dem Netzwerk vor, persönliche Informationen und private Konversationen in klingende Münze zu verwandeln. Facebook sei eine Diamantmine für die Datensammler. Die Naivität, mit der sich Unbedarfte zu gläsernen Menschen degradieren lassen, sei erschütternd, meinen Kassandra-Rufer. Kulturpublizisten und Zeitungskommentatoren verweigern sich wortreich dem Phänomen.
Warum aber sind neben Susi Normalsurfer und Otto Mausklick auch Medienexperten und Internetspezialisten, Philosophen und Künstler in Facebook unterwegs? Haben die keine Angst vor der Ausbeutung durch die Mächte der Dunkelheit? Haben sie nicht, denn sie sind Kinder der Aufklärung. Sie wissen, dass Kommunikation und Öffentlichkeit ein höheres Gut für Individuum und Gesellschaft sind als die schiere Illusion von Freiheit und Privatheit. Sie holen sich zurück, was ihnen Neoliberalismus und Globalisierung geraubt haben. Zeit. Das wertvollste aller modernen Güter. Die Zeit, sich auszutauschen, die Zeit, Freundschaften zu pflegen. Facebook mag eine böse Maschine sein, eine infame Infomine, der Albtraum aller Datenschützer, aber es ist auch ein Aufschrei, ein Schrei nach Prokrastination und sozialer Wärme. Dass diese Revolution ausgerechnet im virtuellen Raum stattfindet, wollen wir jetzt mal nicht so eng sehen. Vergessen wir nicht: Gedruckte Bücher, die Gutenberggalaxis, Brennstoff der Aufklärung, sind auch nur virtueller Raum. Andrea Maria Dusl ist Filmregisseurin und Autorin.
Für meine Kolumne ‚Lebensart‘ in den Salzburger Nachrichten vom 28.02.2009

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