Liebe Comandantina,
Du kennst mich noch von damals, wo ich als „Noah“ unter dem „Joy at Work“-Projekt mal einen Beitrag zu „Kasperl und Petzi“ geschickt habe. Irgendwann habe ich Dir noch was geschickt, das war aber wohl mehr Mist. Sei’s drum. Möchte Dir heute wieder was zukommen lassen, das Du vielleicht verwenden magst. Auch wenn nicht alles immer politisch korrekt bzw. der „richtigen Ideologie“ entsprechend formuliert sein mag, habe ich’s halt einfach in die Tasten geklopft.
Liebe Grüße
Noah (bzw. „falseprophet“ in den ORF-Foren)
Ich bin heute mit ernsten und nachhaltigen Gedanken aufgewacht, die ich dann gleich zu Bildschirm gebracht habe:
Plädoyer für eine Entspiritualisierung Europas
Seit Jahren (Jahrzehnten) befinden wir uns in einem alles umfassenden Prozess der schleichenden Spiritualisierung. Einstmals etablierte Religionen verlieren an Boden und Bedeutung. Ihre Botschaften werden nur mehr mit einem Lächeln oder mit wütender Ablehnung quittiert. Andere religiöse Kulte aus dem Nahen Osten, die nach dem Christentum entstanden sind, breiten sich aus und bringen ihre Anhängerschaft gleich mit. Asiatische Heilslehren, die ohne einen Gott auskommen, finden hier eine Unzahl von hungrigen und durstigen Seelen, die begierig darauf warten, stundenlang völlig fremdartige Gebete zu murmeln und den eben erst abgelegten christlichen Himmel anstatt mit katholischen Heiligen nun mit allerlei asiatischen Gottheiten und Dämonen zu füllen.
Die einstmals gefürchteten „10 Gebote“ werden zum „8-fachen Pfad“ herunter gehandelt, statt immer den Rosenkranz mitzuschleppen, wird insgeheim das ganz persönliche Mantra rezitiert, die Wallfahrten von früher führen nicht mehr nach Lourdes oder Fatima, sondern zum nächsten „Event“, zum „Wunder-“ oder „Geistheiler“, zur Esoterik-Messe und zum nächsten Engelseminar, um dort tieferen Einblick in die Strukturen des himmlischen Geflügels zu gewinnen. Der Jakobsweg hat sich noch herüber retten können, auch wenn der Apostel Jakobus zu Lebzeiten nie in Spanien gesichtet worden sein soll und man sonst mit den Inhalten der katholischen Kirche nicht viel anfangen kann.
Elektriker will keiner mehr werden, heute lassen sich alle zum „Lichtarbeiter“ ausbilden. Ohne vorher die Tarotkarten gelegt zu haben, geht keiner mehr zum Hofer einkaufen. Und wie soll man morgens aus dem Haus gehen, wenn der eigene Biorhythmus gerade einen kritischen Übergang aufweist und noch dazu ein herausfordernder Mars-Saturn-Transit das eigene Medium Coeli belastet? Manche leben auch schon so vegan, dass sie sich nur mehr mit „Du Salatgurke“ oder „Du Erbsenschote“ beschimpfen, – tierische Schimpfnamen haben längst ausgedient, sind verpönt und sowas von politisch inkorrekt.
Auf dem Land bilden sich die ersten öko-biologischen Vulgonamen: „Tofuhiasl“ heißen die alternativen Höfe jetzt, oder „Dinkelpeter“ und so mancher wird von der einheimischen Bevölkerung hinter vorgehaltener Hand als „Quinoa-Noar“ bezeichnet. Alle bemühen sie sich redlich nach „Vervollkommnung“, nach „Einssein“ und Selbstverwirklichung. Vor lauter positivem Denken, kommt keiner mehr richtig zum Arbeiten. Um nur ja kein „negatives Karma“ anzuhäufen, macht man am besten gleich gar nichts. Und ständig ist man am Überlegen, ob man heute wohl auch schon das richtige Schüssler-Salz, die speziellen Globuli, die richtigen Bachblüten geschluckt hat. Wie mühsam…
Unlängst habe ich einen bedeutsamen Satz eines zeitgenössischen Weisheitslehrers gelesen:
„Licht ist Licht, aber ich hab immer wieder die Dunkelheit verteidigt. Weil zum Schlafen zum Beispiel ist es besser, wenn’s finster ist.“ – Paul Chaim Eisenberg, Oberrabiner in Wien. – Ich glaub‘, der wird mein nächster Guru.
Ein sehr schöner Text,
lieber Herr Noah!
Wollen wir den vielleicht als Leserbrief auf meine Website stellen? Oder was meinen Sie! Rabbi Paul Chaim rulez natürlich. Und er eignet sich hervorragend als Guru. Er hält übrigens auch Seminare, wenn ich das jetzt mal profan so sagen darf.
Beste Grüsse und Wünsche,
Andrea
Liebe Frau Dusl,
entschuldigen Sie bitte die voran gegangene plumpe Anduzerei. Wenn man sich zu lange im Internet und in diversen Diskussionsforen herumtreibt, verfallen die Sitten, ohne dass einem das weiter auffällt.
Zum sehr geschätzten Oberrabiner Paul Chaim Eisenberg:
Dieser ist zweifellos ein Mensch mit Guru-Qualitäten, auch wenn in seinem Fall (ich verweise auf das „Lob der Dunkelheit“) eher der Ausdruck „Rugu“ zu Anwendung kommen müsste. Ich erkläre das gleich:
Auch wenn auf wikipedia „guru“ als „schwer, gewichtig“ übersetzt wird, habe ich von kompetenter Quelle die Interpretation von „gu“ = Dunkelheit und „ru“ = Licht vernommen. Ein „Gu-ru“ ist also jemand, der einen anderen Menschen von der Dunkelheit (gu) zum Licht (ru) führen kann.
Rabbi Eisenberg wäre dann äquivalent ein „Ru-gu“, jemand der vom Licht gerne in die fürs Schlafen notwendige Finsternis überwechselt.
Der Rabbi räumt also mit seiner Aussage mit der überschätzten Funktion des „Guru“ auf, der alles und jeden „ins Licht“ zerren möchte, auch wenn dieser das vielleicht gar nicht will. Alle wollen ja ständig „erleuchtet“ werden, wollen „Klarheit“ und solche Sachen. Hier kommt Rabbi Eisenberg als Verteidiger des Menschseins ins Spiel und verweist auf die Wichtigkeit des Parasympathikus, des anderen Teiles unseres vegetativen Nervensystems. Und recht hat er! Ein Leben in ständigem „Licht“ mag vielleicht für „Engel“ und dergleichen verlockend sein, unsereins in Menschengestalt sollte sehr wohl auch die Finsternis, die Ruhe, die zeitweise völlige Unerleuchtetheit zu schätzen wissen.
In diesem Sinne
Liebe Grüße
Noah