Liebe Frau Andrea,
im Zusammenhang mit dem plötzlichen Unfalltod Jörg Haiders wird in dessen Umfeld auffallend oft die Formulierung „er war mein Lebensmensch“ gebraucht. Bitte was ist das? Und für wie viele Menschen kann man ein Lebensmensch sein? Muss man die alle persönlich kennen?
Mit bestem Dank und freundlichen Grüßen,
Brigitte Guschlbauer, per Elektropost
Liebe Brigitte,
soweit ich es überblicken kann, ist für die Inflation des Begriffs Lebensmensch der Laßnitzer Waldbauernbub Stefan Petzer verantwortlich. Mit dem poetischen Ausdruck bedenkt der posthume Parteichef des BZÖ seinen Mentor und Habibi, den tödlich verunfallten Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider. Tränenreich fasst der braungebrannte Beau damit seine offizielle und inoffizielle Gefährtenschaft mit dem Gottseibeiuns der Österreichischen Innenpolitik zusammen. Was aber ist ein Lebensmensch und woher hat Petzner den Begriff entliehen? Gemeinhin verstehen Lebensgemenschte darunter ein Amalgam aus Nähe und Geheimnis. So sollen Großkaliber der Beziehungen wie Bruno Kreisky oder Marcel Prawy neben ihren Familien jeweils jahrzehntelange Bande mit der Schauspielerin Senta W. unterhalten haben. Auch hier, fern der solariumsgebräunten Kameraderie erinnere ich, den Begriff “Lebensmensch” fallen gehört zu haben. War Petzner also Haiders Wengraf? Die Zukunft wird hier erklärend eingreifen. Denkbar wäre aber auch eine literarische Abstammung von Petzners Beziehungsformel. Als Publizistikstudent an der Alma Mater Minimundus (© Herbert Lachmayer) könnte Stefan Petzner trotz Forschungen auf dem Gebiet der Udojürgologie durchaus mit dem Werk Thomas Bernhards in Berührung gekommen sein. Der beschreibt in seiner Erzählung Wittgensteins Neffe seinen Lebensmenschen Hedwig Stavianicek, eine 36 Jahre ältere Krankenschwester und Witwe, die der lungenkranke junge Dichter 1949 in der pulmologischen Heilanstalt Grafenhof bei St. Veit im Pongau kennengelernt hatte. Sie unterstützte Bernhard krankenpflegerisch, moralisch und materiell. Die beiden verband eine Lebensgemeinschaft, die über 34 Jahre hielt. 1984 starb die „Tante“, wie sie Bernhard liebevoll-spöttisch nannte. Fünf Jahre später liess sich der Dichter auf dem Grinzinger Friedhof an ihrer Seite beisetzen. www.comandantina.com dusl@falter.at
Für meine Kolumne ‚Fragen Sie Frau Andrea‘ in Falter 44/2008