Nie war es einfacher, sich neue Bekannte zu suchen: In sozialen Netzwerken im Web gilt jeder Kontakt gleich als „Freund“ –
Andrea Maria Dusl über ihre Versuche, zwei Welten miteinander zu verbinden. Für Der Standard / Rondo vom 23. 5. 2008. Bild © The Peaceful Invasion
Angefangen hat es mit Orkut, Googles halbgeheimer Freundschaftsbörse. Zu meinen ersten Freunden gehörten Guy Manuel aus Brasilien, ein alter Herr mit Glatze, Huy Zing, ein mysteriöser Student aus San Francisco, und ein gewisser Mistiborn aus Liechtenstein. Meine eigene Freundesliste im Orkut-Netzwerk war bald zweistellig. Alle diese Orkut-Bünde wären ohne mein stetiges Online-Sein, meine Bereitschaft, Sekunden und Minuten in die Waagschale der Schnellkommunikation zu werfen, gewiss nicht am Leben geblieben.
Orkut hieß Orkut, weil das der Vorname von Orkut Büyükkökten war, eines türkischen Computer-Science-Studenten an der legendären Silicon-Valley-Schmiede Stanford. Jener kalifornischen Elite-Universität, die wie keine zweite für den technologischen Input der IT-Industrie sorgt. Orkut Büyükkökten programmierte für Google. „Google nahestehend“ verriet denn auch ein kleiner Hinweis am unteren Rande jeder Orkut-Page.
Bediente also Orkut die Suchtechnologie Google, um die Millionenschaft seiner Mitglieder auf der Suche nach neuen Freunden und Freundesfreunden zu unterstützen? Mit Sicherheit. Aber es war nicht Google, das Orkut von Nutzen war. Es war genau umgekehrt.
Von allen Orkutlern habe ich allerdings grad mal zwei irdisch kennengelernt. IRL kennengelernt, wie das heißt, „in real life“. Die beiden waren dann allerdings tatsächlich große Knaller in meinem wirklichen Leben, große Knaller, weil aus all den unwirklichen Begegnungen mit virtuellen Internetizens zumindest zwei wirkliche Beziehungen entsprangen, zwei reale Freundschaften.
Recht mager die Ausbeute, möchte man meinen. Zwei aus 21 Millionen. Immerhin. In der Wiener U-Bahn, auch eine Millionen-Community, habe ich mangels immunisierender Gesprächskultur weniger Freundschaften akquiriert.
Orkut ist mittlerweile eingeschlafen. All die brasilianischen Party-Einladungen, die Ich-möchte-mit-dir-Beziehung-Kurznachrichten, die mir junge Männer aus dem Nahen Osten in die Inbox geschaufelt haben: Sie sind vergraben, vergessene Passwörter und verwaiste E-Mail-Accounts sei Dank. Datenmüll, auf dem die amerikanischen Terror-Schnüffelhunde herumgeistern, aber verborgen für Soziologen und Demografen. Verschüttet für immer in Server-Farmen an der Westküste. In Zukunft wird das anders sein: Nach MySpace und Facebook hat jetzt auch Google angekündigt, dass User ihre Profile auf andere Websiten übersiedeln können.
Und Orkut ist ja nicht wirklich tot. Denn Orkut heißt jetzt Facebook. Das beliebteste aller sozialen Netzwerke ging am 4. Februar 2004 im Uni-Zimmer von Harvard-Student Mark Zuckerberg online und explodierte von einem kleinen Campus-Experiment zu einer weltumspannenden Freundschafts-Börse mit mittlerweile 69 Millionen Mitgliedern. Ihr Motto: „Facebook is a social tool to connect with people around you.“ Ein Schelm, wer denkt, dass die Plattform massiv vom Data-Mining lebt. Der Deal ist simpel. Gib mir hundert Daten, und ich gebe dir tausend Freunde. Die Facebooker sind Menschen aus Fleisch und Blut, ihre Namen sind Klarnamen, und ihre Bilder sind keine Avatare aus dem Photoshop – Konsequenz aus dem legendären Bonmot: „Get a first life“, der Hauptkritik am Rohrkrepierer „Second Life“.
Dass Facebook wie auch schon Orkut zuvor den Begriff Freundschaft in die Bedeutungslosigkeit gekickt hat, steht auf einem anderen Blatt. Wie kann man mit Menschen „befreundet“ sein, die man noch nie im Leben getroffen hat? Wie Beziehungen führen mit Unbekannten?
In Xing, Ende 2006, als „Open Business Club“ gegründet, geht es gleich zur Sache. Mehr blue collar als Face-Book versteht sich die Community als Umsteigebahnhof für geschäftliche Freundschaften. Auch ich bin auf dem dünnen Eis der Gegenwart schon in Xing geschlittert.
Für tiefschürfendes Xinging fehlt mir allerdings die Bereitschaft, meine Kreditkarte mit einer Vollmitgliedschaft zu belasten. Das zerbrechliche Band der geschäftlichen Bekanntschaft will ich nicht mit den derben Fesseln wirklicher Freundschaft vertauschen. Ich möchte lachen und weinen, nicht lol-en und : ( -en, und zu lähmenden Power-Point-Vorträgen von umtriebigen Xinglern möchte ich auch nicht erscheinen.
Aber vielleicht ist das ja ohnedies alles Trug. Vielleicht sind wir alle unentrinnbar in einem weltumspannenden neuen Biedermeier gefangen, das heile Welten insinuiert, fröhliche Beziehungen, Denkerbünde und Geschäfts-Companien gründet und uns ein großes, virtuelles Kaffeekränzchen vorgaukelt. Vielleicht steckt hinter der Sehnsucht nach der Netzfreundschaft der zerbrechliche Wunsch, irgendwo dabei zu sein. Vielleicht ist die Facebookitis Ausdruck der existenziellen Angst, in einer Welt unterzugehen, die sich über Netzwerke definiert.
Denn eines haben Globalisierung und der dumpfe Siegeszug des Neoliberalismus gelehrt: Die alten Mechanismen der Lebenssicherung funktionieren nicht mehr. Berufe sind nicht mehr fürs Leben, Wohnungen nicht für immer, Partner nicht für ewig. Alles ist in Bewegung, alles ist Teil eines ständig wachsenden, mittlerweile 15 Jahre alten Netzes mit der dadaistischen Kurzformel „www“. Bleibt die Frage: Sind wir die Spinne oder die kleine Fliege? Haben wir das Netz gewoben, oder kleben wir daran?
Wie es wäre, wenn man die Prinzipien der Web-Freundschaftsbünde in die Realität umsetzte, zeigt diese –> Facebook-Parodie auf der Fernsehwahnsinnpinwand www.ehrensenf.de .
Darf ich auf diesen Text von Juli Zeh hinweisen?:
„Ihr führt diese niedlichen Diskurse über Virtualität. »Virtuelle Welten« findet Ihr privat ziemlich reizvoll und öffentlich ziemlich böse, vor allem, wenn junge Leute damit umgehen. Grämt Euch nicht, das ist normal. Als die ersten Züge fuhren, glaubten Eure Vorfahren, dass Reisende bei Geschwindigkeiten über 50 km/h dem Wahnsinn verfallen müssten, weil die menschlichen Sinnesorgane mit der Informationsflut nicht zurechtkämen. Nun glaubt Ihr eben, die neue Informationsflut im Internet werde den Menschen eines Tages isoliert, realitätsfern, soziopathisch, kurz: wahnsinnig machen. Warum ausgerechnet Kommunikation zur Vereinsamung führen soll, hat bis heute niemand verstanden. Sei’s drum.“
http://www.furl.net/item/33919905