Andrea Maria Dusl für Standard RONDO.
Angefangen hat es mit Orkut, Googles halbgeheimer Freundschaftsbörse. Meine ersten Freunde waren Guy Manuel aus Brasilien, ein alter Herr mit Glatze, 197 Freunde schwer, Huy Zing, ein ebenso mysteriöser wie legendärer tätowierter Student aus San Francisco (545 friends), und ein gewisser Mistiborn aus Liechtenstein mit schalen 8 Orkut-Kontakten. Meine eigene Freundesliste im Orkut-Netzwerk war bescheiden, aber immerhin bald zweistellig. Bevor mein Orkut-Engagement sanft entschlief, gründete ich, ganz im Einklang mit der Plattform-Ideologie, Communities und Debattierzirkel, offene Geheimgesellschaften und geheime Open-Societies. Mininetzwerke mit seltsamen Bezeichnungen wie: „The Bobo Society“, „Die Orkut-Scheiss-Preise-Comunity“ oder „Der Bund der Unverbundenen“. Ich war Mitglied in Gruppierungen mit klingenden Namen und hehren Inhalten: in der “Betty Page Community”, im Fanclub „I Love Freckles“, der Gemeinde der Verehrer von Phoebe-Songs aus der Serie Friends und schliesslich war ich Member der “Margot Tenenbaum Society”, eines eingeschworenen Club von Verehrern Margit Tenenbaums, jener düsteren Filmgestalt aus dem Kultfilm „The Royal Tenenbaums“. Alle diese Orkut-Bünde wären ohne meine Mitgliedschaft, ohne mein stetiges Online-Sein, meine Bereitschaft, Sekunden und Minuten in die Wagschale der Schnellkommunikation zu werfen, gewiss nicht am Leben geblieben.
Wir waren alle “Freunde”, “friends”, wie das im Netz-Neu-Sprech heisst, unterwandert von einer Hunterttausendschaft von brasilianischen Gaga-Postern, indischen Internet-Junkies, arabischen Atheisten und Bobo-Networkern aus der alten und der neuen Welt. Ein grosses Reich. Von allen Orkutlern habe ich allerdings grad mal zwei irdisch kennengelernt. IRL kennengelernt, wie das heisst, „in real life“. Die Beiden waren dann allerdings tatsächlich grosse Knaller in mein wirkliches Leben, grosse Knaller, weil aus all den unwirklichen Begegnungen mit virtuellen Intenetizens zumindest zwei wirkliche Beziehungen, zwei reale Freundschaften entsprangen. Recht mager die Ausbeute, möchte man meinen. Zwei aus 21 Millionen. Immerhin. In der Wiener U-Bahn, auch eine Millionen-Comunity, habe ich mangels immunisierender Gesprächskultur weniger Freundschaften aquiriert.
Orkut hieß Orkut, weil das der Vorname von Orkut Büyükkökten war, eines türkischen Computer-Science-Studenten an der legendären Silicon-Valley-Schmiede Stanford, jener kalifornischen Elite-Universität, die wie keine zweite für den technologischen Input der IT-Industrie sorgt. Orkut Büyükkökten programmiert(e) für Google. “Affiliatet with Google”, “Google nahestehend”, verriet denn auch ein kleiner diclaimer am unteren Rande jeder Orkut-Page. Bediente also Orkut die Suchtechnologie Google, um die Millionenschaft seiner Mitglieder auf der Suche nach neuen Freunden und Freundesfreunden zu unterstützen? Mit Sicherheit. Aber es war nicht Google, das Orkut von Nutzen war. Es war genau umgekehrt.
Orkut ist mittlerweile eingeschlafen. Die Cookies, die es auf meinem Computer hinterlassen hat, werden von seiner momentanen Version gar nicht mehr erkannt. Orkut ist also Vergangenheit, all die interessanten brasilianischen Party-Einladungen, die Ich-möchte-mit-Dir-Beziehung-Kurznachrichten, die mir junge aufgeweckte Männer aus dem nahen Osten in die Income-Box geschaufelt haben: Sie sind vergraben hinter einer Firewall aus vergessenen Passwörtern und verwaister Email-Accounts. Datenmüll, auf dem die amerikanischen Terror-Schnüffelhunde herumgeistern, aber verborgen für Soziologen und Demografen. Verschüttet für immer in Server-Farmen an der Silikon-Westküste.
Aber Orkut ist nicht wirklich tot. Denn Orkut heisst jetzt Facebook. Das beliebteste aller Netzwerk ging am 4. Februar 2004 im Uni-Zimmer von Harvard-Studenten Mark Zuckerberg online und explodierte von einem kleinen Campus-Experiment zu einer weltumspannenden Freundschafts-Börse mit mittlerweile 69 Millionen Mitgliedern. Ein Schelm, wer denkt, dass die Plattform massiv vom Data-Mining lebt. Der Deal ist simpel. Gib mir hundert Daten und ich gebe Dir tausend Freunde. Die Facebook-Freunde sind Menschen aus Fleisch und Blut, ihre Namen Klarnamen und ihre Bilder keine Avatare aus dem Photoshop, Konsequenz aus dem legendären Bonmot: “Get a first life” – der Hauptkritik am Rohrkrepierer “Second Life”.
In Xing (Ende 2006 als “openBC/Open Business Club” gegründet) geht es gleich zur Sache. Etwas mehr blue collar als Face-Book versteht sich die Community als Umsteigebahnhof für geschäftliche Freundschaften. Selbstredend bin auch ich auf dem dünnen Eis der Gegenwart schon in Xing (man sagt: Crossing) geschlittert. Für tiefschürfendes Xinging fehlt mir allerdings die Bereitschaft, meine Kreditkarte mit einer Vollmitgliedschaft zu belasten. Den ganzen Funktionsumfang der Plattform kann ich also gar nicht ausnützen. Montagfrüh informiert mich ein Newsletter, wer auf meine Startseite gesurft ist, und zweimal im Monat bemüht sich jemand, mich in den Kreis ihrer oder seiner Geschäftsfreunde zu integrieren. Es sind meist Verschollene aus meinem eigenen Leben, Schulfreundinnen, die bei Erdölkonzernen managen oder Partybekanntschaften, die eine windige GesmbH gestartet haben und jetzt Sozialkapital, Emailadressen und Vernetzungspartikel sammeln. Ich mag das alles nicht wirklich. Das zerbrechliche Band der geschäftlichen Bekanntschaft will ich nicht mit den derben Fesseln wirklicher Freundschaft vertauschen. Ich möchte lachen und weinen, nicht lol-en und : ( -en, und zu lähmenden Power-Point-Vorträgen von Umtriebigen Xinglern möchte ich auch nicht erscheinen.
Aber viellleicht ist das ja ohnedies alles Trug. Vielleicht sind wir alle unentrinnbar in einem weltumspannende neuen Biedermeier gefangen, das heile Welten insinuiert, fröhliche Beziehungen, Denkerbünde und Geschäfts-Companien gründet, und uns ein grosses, virtuelles Kaffeekränzchen vorgaukelt. Vielleicht steckt hinter der Sehnsucht nach der Netzfreundschaft der zerbrechliche Wunsch, irgendwo dabei zu sein. Vielleicht ist die Facebookitis Audruck der existentiellen Angst, in einer Welt, die sich über Netzwerke definiert, unterzugehen. Denn eines haben Globalisierung und der dumpfe Siegeszug des Neo-Liberalismus gewiss gelehrt: Die alten Mechanismen der Lebenssicherung funktionieren nicht mehr. Berufe sind nicht mehr fürs Leben, Wohnungen nicht für immer, Partner nicht für ewig. Alles ist in Bewegung, alles ist Teil eines ständig wachsenden, mittlerweile 15 Jahre alten Netzes mit der dadaistischen Kurzformel “www”. Bleibt die Frage: sind wir die Spinne oder die kleine Fliege? Haben wir das Netz gewoben, oder kleben wir daran?
Andrea Maria Dusl ist Filmemacherin und Autorin und hostet das vielbesuchte Blog „Comandantina Dusilova“.
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