Einer von fünf Texten die ich für die Architekturtage Vorarlberg 2008 verfasst habe und vor Ort verlesen habe.
Session three
Landtagsgebäude
Städtle 47, 9490 Vaduz (FL)
Ziegelgewordene Demokratie
Bau: Architektengemeinschaft Hansjörg Göritz,
Hannover und Frick Architekten AG, Schaan
Das hochelegante Kleinlandesparlament in Vaduz
Rede der nichtabgeordneten Stadtbewohnerin Andrea Maria Dusl im liechtensteinischen Landtag.
Meine Damen und Herren, das weltberühmte Liechtenstein, das sagenhafte Vaduz, die Briefmarkenhauptstadt der Welt, es hat einen Sitzungssaal von grosser Eleganz.
Wie sieht das denn woanders aus? Wie sieht das dort aus, wo ich herkomme? Der Plenarsaal des Nationalrats in Wien ist eine theatralische Arena. Im muschelförmigen Halbrund sitzten dort die Abgeordneten einer balkonartig erhöhten Bank gegenüber. Der legendären Regierungsbank. Die Abgeordneten, die Vertreter des Souveräns, des Volks, sitzen einer erhöhten Aussichtsplattform gegenüber, sehen zu ihr auf. Die Legislative wird von der Exekutive übersehen. Österreich halt. Nichts was wir machen, machen wir richtig.
Ich möchte daran erinnern, dass die Herrschaften, die in der Burg über uns residieren, ebenfalls Österreicher sind, eine Familie, die aus Mödling kommt. Mödling, ein düsteres Kaff im Süden von Wien. Die Mödlinger da oben haben ein schönes kleines Operettenfürstentum ins Jetzt hinübergerettet. Viel Geld wird hier verwaltet, Liechtenstein ist reich. Und weil es reich ist und weltgewandt und informiert und tatsächlich hat es einen norddeutschen Architektonikus beauftragt, diese Klinkerburse hier zu errichten. Der Raum, in dem wir uns befinden ist keine Ziegelhalle, sie ist eine Klinkerburse.
Klinkerburse, das klingt despektierlich, ist es aber nicht. Die Form dieses Gebäudes ist die einer mittelalterlichen Burse, einer Börse, eines handtaschenhaft spitz zulaufenden Kästchens. Im hohen Mittelalter wurden die wertvollsten Preziosen so aufbewahrt. In Bursen. Die Backsteine, die leitmotivisch alle Oberflächen dieses Gebäudes bedecken, sie sind keine Ziegel. Es sind Klinker.
Ich finde es auf der symbolischen Ebene bemerkenswert, dass der Landtag Liechtensteins, die Volksvertretung, das Parlament in einer Pretiosenschatulle aufbewahrt wird. In einer grossen Burse. Wie ein Schatz. Gut sichtbar, freistehend, unverrückbar. Kein Stadel, keine Halle. Eine Burse.
Über die Gepflogenheiten der Redekunst in diesem Parlament bin ich wenig unterrichtet, ich gehöre nicht zum Landesvolk, ich bin Gast hier, aber der Gedanke, im Manegenrund dieses Sitzungssaals zu sprechen, hat etwas archaisches. So habe ich mir das gewünscht. Ich vermute, die 25 Abgeordneten verweilen während der Debatten an ihren Sitzungsthronen. Vielleicht sollten sie mit dem Gedanken spielen, in die Mitte zu kommen, hier, wo ich jetzt stehe. In die Mitte der Burse, in die Mitte der Tafelrunde. Ins Pretiosenzentrum.
Die mittelalterliche Debattenschattulle ist das bemerkenswerte Gebäude in diesem Landtag. Seine Nebenräume schmiegen sich an den Hang hinter uns. Tatsächlich sind sie in den Bergfuss geschlagen, dem Berg abgerungen. Dem Berg, auf dem die Fürstenburg thront, wie ein der Zacken in der Krone.
Wussten sie, meine Damen und Herren, dass es in den Kellern dieses Gebäudekomplexes hier unten einen Bunker gibt, ein Geheimliechtenstein, ein Notfallliechtenstein? Hinter doppelten Bunkertüren, aus schweizerischem Atombunkerstahl geschmiedet, liegt das Geheimliechtenstein, das unterirdische Notfallliechtenstein. Es ist den Regierungsbunkern andere Länder gewiss nicht unähnlich, hat eine Bunkerküche, ein Notstromdieselaggregat, eine Radiostation, einen Besprechungsraum vor einer wandgrossen Karte des Landes.
Weil Liechtenstein bekannterweise mehr hoch als quer erscheint auf nordrichtigen Landkarten, musste es, um die Wand mit Landkartenliechtenstein zu füllen, quer gelegt werden. Im tiefen Keller dieser Örtlichkeit ist Liechtenstein also quer gelegt. Das unterirdische Liechtenstein hat den Norden links. Vorarlberg, hinter den sieben Liechtensteiner Bergen gelegen, liegt besprechungssaalmässig gesehen jenseits der Decke. Ein schönes Bild. Von links die Bedrohungen vom Bodensee, von rechts und unten die der Schweiz und nach oben gehts ins ferne Österreich. In die EU somit. Oder es kommt von dort. Notfallmässig, bunkernotfallmässig, atombunkernotfallmässig betrachtet.
Liechtenstein, das soll jetzt auch nicht unerwähnt bleiben, ist die einzige durchgehende Schengenaussengrenze der EU. Jeder Liechtensteinausreisewillige muss, um das Land zu verlassen, eine Schengenaussengrenze überschreiten.
Im Bunker unter uns, das darf ich ihnen von dort berichten, sind die Dinge weniger elegant als hier oben, sie sind sauber, das gewiss, aber sie sind einfach. Im Notfall, so will es das Moralgesetz der Bescheidenheit, müssen Alle Abstriche vom Luxus machen. Die Liechtensteiner Bunkereinzugsberechtigten werden den Notfall – im Einklang mit diesem ungeschriebenen Gesetz – in militärischen Stockbetten verbringen. Wenn sie denn die Müdigkeit übermannt und überfraut.
Aber halt, hier herrscht, meine Damen und Herren, ein fundamentaler Irrtum vor, der mit dem Nichtnotfall viel, mit dem Notfall aber wenig zu tnu hat. Der Nichtnotfall, das ist der Besichtigungsfall. In diesem werden wir, so uns das gelingt, der Notfallarchitektur angesichtig. Einer spartanischen Edelstahlküche, einem kargen Stabsraum samt quergelegtem Liechtenstein, und einem militärischen Notfallschlafsaal. Nichts hier soll nach Eleganz und Luxus riechen, ein Notfall soll bescheiden verbracht werden, nicht gepolstert und verwöhnt. Wie gesagt, so will es das ungeschriebene Moralgesetz der Bescheidenheit.
Appelativ, meine Damen und Herren hier im Abgeordnetenrund, ein ernstgemeinter Vorschlag zur Notfallgesundung des Planeten: Die Bunkerbetreiber dieser Welt, die Liechtensteinischen könnten hier eine Vorreiterrolle übernehmen, sollten Sorge tragen, dass die, in Sicherheit eingebunkerten Regierungsstäbe ihre schwierige Situation, den ernsten Notfall natürlich, in angemessener Eleganz verbringen. Luft und Licht sind von der Stange, da könnte wenigstens der Komfort Haute Couture sein. Notfallenden Sonderliechtensteinern wollten wir doch für ihre schwierige Aufgabe nicht den schlechten Schlaf eines engen Militärbetts wünschen, sondern die wohligsanfte Erholung, die ein Bett bietet, das man andernorts und andrerzeit als “ordentlich” bezeichnen würde. Ein ordentliches Bett, ein Dreisternepensionsbett sollte das mindeste sein, was der Notfall an Ruhemobiliar bietet. Auch hier in Liechtenstein. Besonders hier in Liechtenstein.
Ansonsten bin ich sehr zufrieden mit der schlichten Eleganz des Gebäudes. Jalousien, wo Jalousien sein sollen. Treppen, die etwas weiter sein könnten, Fenster und Türen von bester Qualität. Nur die Steckdosen haben parvenuehaften Charakter. Schwarzes Bakelit wie in der Eschner Schule hätte es auch sein dürfen. Vor Metallsteckdosen fürchten sich Stromphobiker. Die Elektrisierungsparanoia muss man nicht schüren. Nicht in Landtagen.
Zuletzt ein genereller Appell an die Vaduzer: Da Ihr Geld habt, Vaduzer, Geld wie andere Heu, denkt Euch, Vaduzer, bitte was für eure Hauptstrasse aus. Irgendetwas elegantes. Irgendetwas wirklich elegantes. Die Hauptstrassen von Knittelfeld oder Mödling sind als Eleganzmatrizen völlig unbrauchbar, dort gibt es weder Geld noch Heu. Und gar nicht gibt es dort Eleganz. Eleganz ist fremd in Knittelfeld und Mödling. Schon besser sind da Innsbruck, Zürich, Karlsbad und Cannes. Besonders Cannes kanns. Von Cannes könnte man sich die eine oder andere Idee Idee kommen lassen. Vaduz, liebe Vaduzer, kann mehr Cannes sein.