Architekturtage Texte 2
Die schöne Schule in Eschen

Einer von fünf Texten die ich für die Architekturtage Vorarlberg 2008 verfasst habe und vor Ort verlesen habe.

session two
Primarschule Eschen
Simsgasse 1, 9492 Eschen (FL)
Von Material- und Farbsequenzen geprägter atmosphärischer Raumgehalt.
Architektur: Gähler Architekten BSA/SIA, St. Gallen

Die schöne Schule in Eschen

Andrea Maria Dusl

Aufsatz. Es ist heiß, die Sonne brennt durch die dünne Luft des frühen Mai. Wenn die Sonne vom frühen Maihimmel brennt, ist sie heisser und giftiger als die Sonne, vom, sagen wir, Julihimmel. Die frühe, fast noch aprillige Maibeginnluft ist eine dünne Luft, eine klare, und wenn die frühe Maisonne durch die frühe Mailuft brennt, bekommt das Blau des Himmels einen schmerzhaften Stich ins violette. Auch die Schatten, die die Frühmaisonne hinter die Dinge nagelt, sind dunkler. Die Frühmaisonnenschatten sind klare schwarze Schatten. Liegt es an der Zartheit der Blätter an den Bäumen? Oder liegt ausschliesslich an der metallischen Dünne der frühen Mailuft?

In Klagenfurt wäre das hier eine Universität, denkt es mir. Hier im Postfachimperium ist es eine normale Kinderschule. Eine Kinderschule von der Würde einer Provinzuniversität. Wir stolpern die Rampe hinauf, an nackten Bäumen entlang, hinauf in die Grundschul-Akropolis. Mir fehlen die Begrifflichkeiten für das Schweizerisch-Liechtensteinische Schulsystem. Ist das hier eine Volkschule? Ist eine Primarschule nach österreichischem Schulgedächtnis eine Volksschule? Dort, wo ich herkomme, dort wo auch die Liechtensteins herkommen, im fernen Wien, gehen die Kinder, wenn sie dem Kindergarten entflogen sind, in die Volksschule.

Sind das Eschen, fragt das Volkschulkind in mir. Jede andere Antwort als “ja” möchte in der Kinderseele in mir grosse Verwirrung auslösen. Nein es sind keine Eschen hier in Eschen, sagt das Universitätskind in mir, jedenfalls sehen die Blätter an den Eschen hier nicht wie die gefiederten Eschenblätter an den Eschen aus, die ich aus dem fernen Österreich, es liegt hinter den sieben Bergen, kenne. Die Blätter an diesen Nichteschen sehen aus wie die von Pappeln. Die Eschen in Eschen sind also Pappeln? Weiss gleisst der Kalk der akropolitischen Stufen, an denen ich über das Eschentum sinne. Hier werden Kinderbeinchen emporfliegen, denkt es in mir, hier wird das eine oder andere Knie sich aufschlagen. Da wäre es gut, Ordnung zu haben in den Dingen, Schatten von gefiederten Eschen zu haben. Ordentliche Eschen zu haben, die Schattenordnung in die Stufen bringen. Wenn es blutet am Kalkweg vor der Schule.

Dabei kommt das Eschen im Eschner Namen gar nicht von den Eschen, die ich mir hier wünsche. Es kommt, wie die churrätischen Urkunden schon im vorvorigen Jahrtausend, im Jahre 842 bekennen, von „Essane”. Essane in Corpore Sano. Eschen soll das keltische „esca“ sein, am Wasser gelegen. Okay, sagt das Kind in mir, Pappeln in Eschen, Weiden in Eschen, ja sogar Platanen in Eschen, das hielte ich dann für rechtens.

Die Alma Mater Escae liegt nicht am Wasser, sie liegt an einen Hügel geschmiedet und sie hat von allen Volksschulen, die ich je gesehen habe, den schönsten Ausblick. Die Primarschule Eschen wäre nicht nur Universität. In Klagenfurt. Im Salzkammergut, da kenn ich mich aus, weil dort bin ich in die Volksschule gegangen, wäre die Primarschule Eschen ein veritables Fünfsternehotel.

Mir gefällt die Klarheit, die der Sichtbeton ausstrahlt, der hier vom Innenleben der Wände kündet, mir gefällt das, wenn die Dinge aussehen, wie sie sind. Das Kind in mir zeigt auf: Das fahle Grau der Eschen, Frau Lehrerin, hätte ich mir für das Holz hier gewünscht. Bibliotheksbohlen aus fahlem Eschenholz, bittesehr. Frau Lehrerin. Eschenbohlen! Ein gutes Holz. Jimi Hendrix’ Gitarren waren aus Eschenholz. Bittesehr, Frau Lehrerin, Jimi Hendrix! Der schönste schmutzige Gitarrenton des Planeten! Auf Eschenholz geschlagen! Frau Lehrerin! Wirklich wahr, auf einer Fender Stratocaster. In Woodstock. Eine grüne Wiese wie hier in Eschen. Frontalunterricht vom Meister. Gitarrentöne aus Eschenholz. Bitte Frau Lehrerin: Wenn schon die Eschen in Eschen Buchen sind und Weiden, Platanen und Fichten, Föhren und dänische Silbertannen, dann könnte wenigstens das Holz hier aus Esche sein.

Sonst gefällt es mir gut im halbrohen Bau der Eschner Primarschule, Universität und Fünfsternehotel, was kann sie noch? Ihre Fenster werfen den Blick auf den katholischen Teil der Schweiz. Das ist das Republikanische an dieser Schule mitten im Operettenfürstentum. Der Ausblick auf allerbestes Republiksgebirge. Wird hier einmal der Präsident von Liechtenstein zur Schule gehen? Unter den Fichten von Eschen? Würde das Land, den Fürstenfall gedacht, überhaupt nach der vormaligen Besitzerfamilie sich nennen dürfen? Und darf man Dinge, wie die eben überlegten in einer fürstlichen Primarschule überhaupt denken? Darf in einer Fürstenvolksschule ausserlehrplanmässiges Republiksgezetere vorgetragen werden? Holz von Hendrix gefordert, republikanische Berge und Schatten für aufgeschundne Knie?

Meine Kenntnis der Geographie Eschens ist bescheiden, immerhin aber habe ich in Erfahrung gebracht, dass es neben den Hügelkuppen Malanser und Lutzengüetle auch noch einen Kogel namens Borscht gibt auf dem Eschnerberg. Borscht. Darf ich mir wünschen, dass den Volksschülern von Eschen, wenn schon keine Eschen ihre Akropolisstiege säumen, und keine Eschenbohlen in seinen Musikzimmern und Sportsäälen verlegt wurden, dass dann zumindest einmal im Jahr ein russischer Tag begangen wird, an dem dicker Borscht an die Eschener Schüler ausgegeben wird?

Dass die Gegend Sinn für symbolische Komik besitzt, beweist mir der murmeltiergrosse Ziegelspecht an der Stirnfassade dieses Baus. So gehört das.

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