Liebe Frau Andrea,
wenn mich mein Weg in Gefilde führt, wo bemitleidenswerte Geschöpfe dem Kauf und Konsum von berauschenden Substanzen nachgehen (die ihnen ganz offensichtlich gar nicht gut bekommen), fallen mir zugedrogt wirkende Menschen auf, deren Lippen und Zungen bläulich verfärbt sind? Um welches Karlsplatz-Phänomen handelt es sich wohl dabei? Auswirkungen von Ersatzdrogen? Kann den Blauen geholfen werden?
Ihr Justus B., Wien Wieden
Lieber Justus,
ob und wie den Blauzungen geholfen werden kann, damit beschäftigen sich die Wiener Streetworker und Drogenambulanzen. Die Blaufärbung von Lippen und Zungen der Karlsplatz-Passagen-Comunity dürfte ihren Ursprung im rezeptpflichtigen Schlafmittel Somnubene haben. Das Medikament aus der Gruppe der Benzodiazepine enthält den Wirkstoff Flunitrazepam. Wiener Giftler rechnen es den “Langsamen” zu, weil es nach oraler Einnahme etwa vier Stunden dauert, bis sich die Wirkung entfaltet. Werden die Tabletten allerdings aufgelöst oder gespritzt, stellt sich schon nach 15 Sekunden ein Rauschzustand ein. Das Medikament hat in den USA eine zweifelhafte Karriere als Alkoholzusatz hinter sich, es erreichte als Rape Drug traurige Berühmtheit – Partygoers mischten es Frauen in die Drinks – böse Black-Outs waren die Folge. Um das Lutschen, Kauen und Auflösen sichtbar zu machen, wurden die hochgradige abhängigmachenden Tabletten mit einem blauen Farbstoff überzogen. Konsumenten wirken nach Einnahme betrunken, reden langsam und gehen schwankend. Die blauen Zungen sind da noch das elegantere Phänomen. dusl@falter.at www.comandantina.com
Für meine Kolumne ‚Fragen sie Frau Andrea‘ in Falter 10/2008