Liebe Frau Andrea,
da ist mir doch kürzlich eine Frage wieder erblüht, die mich intermittierend seit der Unterstufe beschäftigt (und die ist bei mir schon eine lange Weile her). Nämlich: Warum impliziert das bestätigungsheischende Wörtchen „gell“ ein Duzverhältnis, obgleich doch kein „du“, ja nicht einmal eine einschlägige Verbform enthalten scheint? Tatsächlich kennt die Umgangssprache ja auch höfliche Gegenstücke wie „gelln’S“, „gön’S“ etc. In der Hoffnung, die rätselhafte Blüte möge von Ihnen gekappt werden verbleibt hochachtungsvoll
Stefan Metzler-Dinhobl
Lieber Stefan,
“gell” oder “gelt” ist eine Interjektion, die schon lange in der deutschen Sprache herumgeistert. Der Ausruf kommt vom Zeitwort “gelten” und bedeutet konjunktivisch gebraucht soviel wie “möge es gelten!”, “gelte es!” Das Wienerische hat aus dem gelten bekanntlicherweise das götn gemacht, wobei gelt zu göt wurde und gell zu gö. In Verkennung der tatsächlichen sprachlichen Zusammenhänge hat sich der Usus eingebürgert, das gö für eine Verschleifung von gellen (laut rufen) zu halten. Damit werden Wendungen möglich, die es auch bei anderen Ausrufen gibt. In Anlehnung an heans und heats (für hören Sie und hört ihr), sowie gengans und gets (für gehen Sie und geht ihr) haben die Wiener Zungen aus einem vermuteten Zusammenhang mit gellen (göön) gellen Sie und gellt ihr (göns und göts) gemacht. Einige schöne Beispiele für unseren Begriff können so klingen: “Göts es hauds eich heid am Schbuatplods!” (Gelte es, ihr geht heute auf den Sportplatz!). “Göns, seid in Öro hom mia nua mea Schoda in Beasl” (Gilt nicht auch für Sie, seid der Einführung des Euro haben wir nur mehr Kleingeld in der Börse.) Göns, so gangats! www.comandantina.com dusl@falter.at
Für meine Kolumne ‚Fragen Sie Frau Andrea‘ in Falter 10/2008
Liebe Frau Andrea,
‚tschuldigen S‘ bittschön meinen Einspruch:
„gell“ oder „gelt“ leitet sich aber nicht von dem Verb gelten, sondern sehr wohl von gellen, auch gällen (= übereinstimmen, zustimmen, recht geben) her, aus dem mhd. gehëllen, nhd.gehällen, gehellen (= zusammen hellen, gemeinsam einstimmen). (“Gället, ihr Herren?“, bei Gotthelf wird von den Brüdern Grimm in ihrem Dt. Wörterbuch als Beispiel angeführt)
als Imperativ heißt „Gell!“ also = gälle! („stimme mir zu!“)
oder als (rhetorische) Fragestellung: „Göts?“ = gällt ihr? (mehrere Angesprochene)
bzw. „Gön S‘?“ = gällen Sie?
mit freundlichen Grüßen,
aus Wien
Der Vollständigkeit halber füge ich der Erörterung noch das oberösterreichische „goi?“ bei, ein sicheres Identifizierungsmerkmal für die hiesige Bewohnerschaft. Nicht zu verwechseln mit dem jiddischen (oder hebräischen?) „Goj“, das Ungläubige labelt. Wegen der leider sehr gründlichen Vertreibung von Jiddisch-Sprechern fallen „Goi“-Sager und „Gojim“ in eins.
Lieber Herr Nömix,
das klingt alles verführerisch, gebe aber zu bedenken, dass „KLUGE, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache“ in seiner 24 Auflage zu unserem Begriff nachfolgendes beisteuert:
gelt (auch gell u. ä.) Interj std.stil. (14.Jh), mhd. gelte- eigentlich „es möge gelten“ (–>gelten) (dial. auch was gelt’s, geltet u.ä.).