Ich blogge, also bin ich

Warum alle Welt ihre Meinung im Internet verkündet und doch niemand davon klüger wird.
Schreibmaschine.jpgMein Biobäcker bloggt, meine Möbeltherapeutin bloggt, mein Verleger bloggt, meine Kolleginnen und Kollegen sowieso. Und letztens hat sich gar das Leitfossil der gedruckten Meinung, Kronen-Zeitung-König Hans Dichand, einen Blog auf den Leib schneidern lassen. Andrea Maria Dusl für Standard-RONDO vom 29.2.2008
Blogs, jene vertrottelte Wortchimäre aus „Web“ und „Log“, sind zur Hauptquelle eines vermeintlichen Weltwissens geworden. Das Lexikon hat ausgedient und setzt antiquarische Patina an. Die Brockhaus-Enzyklopädie wird, jüngsten Meldungen zufolge, sogar überhaupt nicht mehr als Print-Ausgabe neu aufgelegt, sondern wandert ab 15. April als kostenloses Lexikon ins Internet. Die Bibliothek verstaubt zu einem Altpapierlager, und die Zeitung versteht sich als Museumsfenster in eine vergangene Zeit. Information wird nach dem Grad ihrer Zugänglichkeit bewertet, Zuverlässigkeit ist kein Kriterium.
Dabei hat alles so schnuckelig angefangen. Philantrope Programmierer stellten kostenlos downloadbare Programme zur Verfügung, mit denen Webseiten unkompliziert und formal ansprechend mit Texten gefüllt werden konnten: Smarte Blogsoftware für alle – die Blogosphäre war geboren. Vorbild waren die millionenteuren Redaktionssysteme der großen Printdampfer, die damit ihre Websites mit aktuellen News sowie den Netz- versionen ihrer Printausgaben beschickten.
Privatblogs sahen plötzlich so gut aus wie die Online-Ausgaben von Times und CNN. Statt einer Heerschar von Journalisten zangelten Einzelne und stellten heiße Luft ins Netz. Blog-Content ist unredigiert und unreflektiert, aber schnell. Fatal in einer Welt, in der Geschwindigkeit eine Tugend ist. Semiprofessionelle Nachrichtenerzeuger wie Künstler und Sportler ergriffen die Chance gleich nach den US-Bobos. Sie beschickten ihre Blogs mit Vernissagengeplapper und Fanpost, der Bekanntgabe von Medaillengewinnen und den Bulletins von Knochenbrüchen und Sehnenzerrungen.
Die Wohnzimmer-Blogger konterten mit tagesaktuellen Berichten über Geburtstagsfeten, Autokrankheiten, die Befindlichkeiten ihrer Katzen und Hunde oder wälzten breit aus, was ihnen das Leben schwer- oder leichtmache. Aufgepeppt waren und sind die Ergüsse der Home-Poster mit Privathandyfotografie und redundanten Fundstücken aus dem Weltweitnetz.
Ein Sub-Genre der Szene, Blog-Archive wie Technorati, beschäftigen sich ausschließlich damit, zitable Blogs zu reihen und zu bewerten. Damit imitieren sie die Affirmationsmechanismen von wissenschaftlichen Publikationen auf niedrigem Niveau: Wer oft zitiert wird, muss besser sein.
Natürlich hat auch die Welt der Blogs ihre Helden und Stars. Sichtbar stellt sich deren Ruhm allerdings erst dann ein, wenn traditionelle Medien darüber berichten. Erst dann schnellen Clickraten in die Höhe.
Dabei hat sich alles so romantisch entwickelt. Unterdrückte Kopftuchträgerinnen machten sich in Blogs über den Alltag unter iranischen Mullahs Luft, Dissidenten-Nerds posteten aus dem bombardierten Bagdad, und Geheimwissensträger berichteten Geheimwissen aus der US-Army oder strategischen Unsinn aus den Microsoft-Headquarters.
Weniger romantisch kommt mittlerweile der größte Blog der Welt daher, Wikipedia, das Archiv des Halbwissens. Zusammengetragen von einem obskuren Zirkel an Teenagern, Mittelschullehrern und Privatgelehrten schreibt Wikipedia das Weltwissen neu. Information wird zum Ergebnis pseudodemokratischer Abstimmungen degradiert, Wissen mit Glauben verwechselt, Wahrheit mit Googlebarkeit.
Studenten, die sich ihr Prüfungswissen mittels Wikipedia anbüffeln, wundern sich, warum sie durchfallen. Politiker, denen die Mechanismen der Meinungsmache nicht fremd sein sollten, fallen regelmäßig über selbstlaufende Blog-Hypes rein.
Im schlimmsten Falle greifen sie selbst zur Tastatur und klopfen öde Tagesbefindlichkeiten, Schlechtgeschriebenes und Selbstgedachtes in ihre „Privatblogs“.
Die Welt ist zum Netz geworden und das Netz zur Blogosphäre. Wissen wir jetzt mehr? Nein. Wir finden das Unbeantwortete nur schneller. Maxim Biller, Altmeister der publizistischen Selbstbezichtigung, hat völlig recht mit der Diagnose: Mittlerweile schrieben mehr Menschen, als dass sie läsen.
Das Pendel wird zurückschnellen. Ich prognostiziere die Renaissance traditioneller Lexikalik und das Wiederauferstehen der Recherche.
Es sollte mich sehr wundern, wenn Googles Eggheads nicht schon an profunden Glaubwürdigkeitstools arbeiteten. Und die wissenschaftliche Comunity, die ermahne ich: Schreibt uns Wikipedia neu. Ein Klacks für euch. Eure Gegner sind pubertierende Nerds und arbeitslose Lehrer.
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Kommentare aus der Standard Poster-Gift-Küche:


millerntor
01.03.2008 09:24
wie schön, dass sich alle Blogger immer auf die Füße getreten fühlen und reflexartig ihr Pulver verschießen: „Futterneid“ wird dann gut schreib- und lesbaren Menschen vorgeworfen, „Altertümlichkeit“ oder „Frechheit“. So wie in Blogs Meinungen in die Welt gesetzt wird, ist es durchaus die Aufgabe von Journalisten, Meinungsstücke zu verfassen. Deshalb ist es eine Frechheit von Blogeinträgen wie hier, einen Text wie den der Dusl als Frechheit zu bezeichnen. Vielleicht ist das überhaupt der Grundirrtum der Blogosphäre: Dass sie meint, Meinungen zu verfassen. Statt zu recherchieren oder zu berichten, reagieren sie nur. Suchen Texte von anderswo und kopieren diese in ihr Blogs. Wenn Copy&Paste besser sein soll als eine Analye – bitteschön.
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Langlebiges Feuerzeug
01.03.2008 07:08
Die Dusl bloggte doch schon avant la lettre. Oder hat irgendwen die Om-Dom-Khom-Wetter-Kolumne im Falter oder das Alltagskastl, das vor „Fragen Sie Frau Andrea“ im Blatt stand, je interessiert?
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Donatus Schmid
29.02.2008 22:39
Wenn ich mir auf Wikipedia, die sie ja als Produkt von obskuren Teenagern und Mitttelschullehrern bezeichnen, so ihre akademische Laufbahn ansehe, könnte man fast glauben, sie hätten sich auch ausschliesslich mittels Wikipedia vorbereitet.
Oder haben sie freiwillig, völlig unromantisch aufgegeben ?
Hey Dusilova, warum bloggen sie sich denn ins eigene Nest ? Worüber man nicht sprechen kann,
sollte man „Electric Silence“ walten lassen.
http://bureau.comandantina.com/archivos/…usic_room/
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Interessent
29.02.2008 21:52
Natürlich schmeckt es Profis (?) nicht, dass sie Konkurrenz bekommen haben. Ob diese allerdings weniger professionell ist? Bestimmt sind mindestens 90% der Bloginhalte von mangelnder Qualität bzw. verzichtbar. Das gilt aber uneingeschränkt auch für die traditionellen, kommerziellen Massen-Medien – Webangebote diverser Zeitungsverlage miteingeschlossen.
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kinn
29.02.2008 20:50
Mittlerweile schrieben mehr Menschen, als dass sie läsen. Ich habe mir alle blogs dieser Seite durgelesen bevor ich das hier schrieb. Ich gehöre also noch zu den Lesern.
Bücher sind wirklich einzigartig, geballte Information, wirklich oft verständlich verfasst, …..
leider im Netz meist schwer zu finden oder nicht verfügbar, teuer und schwer.
Ich lese mir lieber 20 halbwahrheiten schnell durch und bilde mir meine Meinung, als im Brockhaus nachzuschlagen. Manchmal kann ich als Nerd anderen Leuten auch helfen ein bestimmtes Problem zu lösen.
„…und doch niemand davon klüger wird“- das ist eine Frechheit und 100%ig eine Unwahrheit.
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blog.bassena.org
29.02.2008 20:50
Alle doof – außer Mutti
Liebe Frau Dusl,
in der „Blogosphäre“, wie auch im Standard, gibt es Autoren, die überzeugen durch Kompetzenz und Autorität. Andere müssen erst Anderes zu Dreck erklären, um selbst ein bisschen zu glänzen. Die einen mehr, die anderen weniger, je nachdem, wie tief im „Müll“ sie sich selber wähnen.
Danke für diese Einblicke.
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Com Pirx
29.02.2008 19:15
Dusl, das war eine 3 minus. Zur Strafe lesen Sie den Brockhaus und zwar schön brav von vorne bis hinten, alle Bände, und keine Seiten überspringen, gell.
Warum dürfen Sie überhaupt schreiben, nachdem Sie so schön gezeigt haben, dass Sie ein Teil des Problems sind?
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Roman Pfefferle
29.02.2008 19:09
PoWiki
„Und die wissenschaftliche Comunity, die ermahne ich: Schreibt uns Wikipedia neu.“
Für die Politikwissenschaft sind wir längst dabei: http://powiki.univie.ac.at
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==McMurphy==
29.02.2008 18:41
die wissenschaftliche „community“ sind auch nichts anderes als „pubertierende Nerds und arbeitslose Lehrer.“;
und die renaissance traditioneller „sonstnochwas“ ist ja wohl ein wunschtraum jener, die sich >jetzt< die müllhalden-70er ihrer eltern in den wohnraum stellen und ihre bücherregale mit meterwarenlexika aufzufüllen trachten, um über ihre retrosehnsüchte hinwegzukommen. es wird wirklich zeit, das papier im museum zu lassen und den archivaren die digitalisierung aller wichtigeren dokumente ans herz zu legen. ...................................... Erzsébet Lucas 29.02.2008 19:20 Re: die wissenschaftliche "community" Unglaublich ,was schon manche in ihren 30ern und 40ern über 'die Zeiten' zusammenjammern. Man könnte glauben, die Frau ist schon jenseits der 80. ...................................... x aeins 29.02.2008 19:01 Re: die wissenschaftliche "community" geb ihnen recht Verfasser dieses Artikels suggeriert eine Überlegenheit, die er/sie (vermutlich) nicht besitzt, in der Art des klassischen Spiegel-Journalismus. spätestens seit Friedrich Schiller gilt: in der fülle liegt die klarheit und im Abgrund liegt die wahrheit ...................................... politisch verfolgt 29.02.2008 17:27 hui da hat sich jemand frust von der seele geschrieben. auch wenns teilweise stimmt, was hier etwas arrogant bemeckert wird, klingt es aus der tastatur einer journalistin ein bisserl nach futterneid. ...................................... Erzsébet Lucas 29.02.2008 17:15 *gähn* Kommt mir vor, wie das Gejammere der Pfaffen seinerzeit zur Erfindung des Buchdrucks. Verderbtheit und Oberflächlichkeit werden das Volk verlottern lassen... Das Internet ist das 1. Massenmedium, das nicht nur top-down funktioniert und das scheint einigen nicht zu passen. Das Ende der Recherche wurde übrigens schon jahre vor den bloggern eingeläutet - als berufliche Schreiberlinge (sog. Journalisten) nur mehr Lobbyistenaufträge und Agenturmeldungen verbreiten zu begannen.

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