Mitbürger

Liebe Frau Andrea,
„Jüdische Mitbürger dankten Papst für besondere Geste“ übertitelte die Kronen Zeitung am 12. September d. J. einen Artikel zum letzten Papstbesuch in Österreich. Immer wieder lese und höre ich, vorwiegend in Medien und aus Politikermündern, dass es in unserem Land Bürger und Mitbürger gibt (weibliche wohl sicher auch). Offenbar handelt es sich dabei um differente Bevölkerungsgruppen. Können Sie mir helfen, den Unterschied zwischen den beiden zu erkennen? Mit dem besten Dank im Voraus für Ihre geschätzte Antwort und mit freundlichem Gruß
Walter Stach, per Email
Schoenborn-Eisenberg-Ratzinger.jpgLieber Walter,
das publizistische Österreich hat bekannterweise Schwierigkeiten mit der Beschreibung von Tatsächlichkeit und wählt zur politischen Selbstimmunisierung die Umschreibung. Das Phänomen ist verwandt mit den sprachlichen Mechanismen der “political correctness”, speist sich aber aus anderem kulturellen Grundwasser. In den Begriffsnebeln Staatsbürger, Nicht-Staatsbürger, Wähler und Nicht-Wähler, Ausländer, Inländer, Einheimischer und Tourist steht schemenhaft der Mitbürger. In diesem Wort taumeln das Miteinander, das Mitunter, das Mitglied und das Mitleid. Der Wortkübel “Mitbürger” ist das Besipiel eines holprigen Versuchs, political correctness über die Ungenauigkeit der Wahrnehmung zu kleistern und Salz ins Unkraut des Ressentiments zu streuen. Korrekterweise wäre Papst Benedikt des XVIten fünfminütiger Besuch am Shoah-Denkmal am Wiener Judenplatz mit “Begegnung des katholischen Kirchenvorsitzenden mit Vertretern der Israelitischen Kultusgemeinde Wien” beschrieben.
www.comandantina.com; dusl@falter.at
Für meine Kolumne ‚Fragen Sie Frau Andrea‘ in Falter 40/2007
Das Bild von Schönborn, Eisenberg und Ratzinger © Matthias Cremer. Hier geht’s zu seinem Photoblog im Online-Standard.

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