Stress Code

Ich muss gestehen, ich bin hochleidend, die Krankheit hat mich fest im Griff. Ich habe Stress. Und er kommt von Innen.
Erschienen in Standard-Rondo vom 31. August 2007
Fruehstueck-Stress.jpgAls Hypochonderin der Stresskrankheit muss ich zudem unablässig jammern. Abhilfe gibt es keine, Hypochondrie ist unheilbar. Mein Leiden beginnt mit dem Aufstehen. Immer zu spät. Acht Uhr, was für ein Jammer, um diese Uhrzeit haben andere schon Mittagshunger. Und ich? Ich krabble erst schlaftrunken aus dem Futon, schalte den Kaffeemaschinenhauptknopf ein. Das ist der einzige, den ich in diesem Zustand überhaupt treffe. Warum ich so spät aufstehe? Schlechte Frage. Warum ich so früh aufstehe? Weil seit sechs die Bagger im Nebenhaus knattern. Zwei Stunden mit dem schlechtem Gewissen der Untätigen, das will mir erst wer vorliegen, im Futon.
Lähmend langsam quält sich das Wasser durch den Kaffee, schwitzt sich tröpfchenweise durch den Filter. Geht denn das nicht schneller? Die Leute draussen sitzen schon stundenlang in ihren Baggerschaufeln, und ich? Ich trödle mir ein Frühstück zusammen. Schwupp, den Laptop geweckt, Deckel hoch, rein ins Netz, klickediklick, schon wieder wer tot. Abgetreten vor der Zeit. Der Mann war doch noch jung, was hat er gehabt? Weissmannicht im Endstadium. Stress, murmle ich. Der Kaffee ist fertig, das Ei, geht denn das nicht schneller? Wieso können die nicht Drei-Minuten-Eier produzieren? Scheiss-Hühner. Was sagt die Mailbox? 257 Penisverlängerungen, 234 Viagra-Aktionen, 122 Anlage-Tips von den Boys in Nigeria. Na Bravo! Was sag ich, mein Spamfilter funktioniert doch! Wird besser, das Ding.
Wer hat geschrieben? Aja. Emma Taylor, Darn Franco, Francisco Dean und Noel Carmelia? Bilder. Aber sicher. Sandy Atkins, Cecil Donovan, Farrah Alesia und Guy G. Vasques. Gute Namen, denkt sich sicher ein Spezialist aus. Alle „tired tonight“. Kenn ich. Die Semmel ist hart. Wieso war ich nicht beim Bäcker? Die Butter ist aus. Wieso nicht beim Spar? 8:10, wie lange geht das noch mit dem Tachinieren, Schätzchen, die Jungs draussen, haben schon ein Zwischengeschoss betoniert! Und Du? Du zappst Dich durch den Mailwald. Arbeite was! Zweite Tasse. Anziehen vergessen. Zahnputz vergessen. Mach was, schreib was, die Zeit verrinnt. 25.000 Zeichen vom Buch hast Du Afra vom Verlag bis Abend versprochen, Tommy vom Film wartet auf die Projektliste, Dr. Müller wartet auf Dein okay. Sandy Atkins, Cecil Donovan, Farrah Alesia, Guy G. Vasques. Stefan aus Gävle will wissen, ob ich ihnen einen Gig organisieren kann, med vänlig hälsning, was sag ich ihm?
Draussen knattert es, die neue Marmelade tropft anders als die alte. Wie war das früher? Wie. war. das. früh. her? Wann früher? Früher, als man noch frühstückte. Nach dem Aufstehen. Vor dem Arbeiten. Frühstückte man da? Knatterte es da? Irgendwer muss doch all die Siebzigerjahrehäuser errichtet haben. Wieso erinnere ich mich nicht daran? Wieso erinnere ich mich an Gerüche, aber nicht an Lärm? Ringrang, störe ich? Nein du störst nicht, du störst nie, was gibts, verstehe, aha, ja genau, ruf mich an, nein mail mir, ganz sicher, naja, bis halbzwei. Heute? Ausgeschlossen. 26.000 Zeichen. Ich sitz sicher bis Mitternacht. Ja, wennsihr wieder, ruf an. Klick. Wo war ich? 27.000 Zeichen vom Buch hast Du Sandy vom Verlag bis Abend versprochen, Cecil vom Film wartet auf die Projektliste, Dr. Vasques wartet auf Dein okay. Darn aus Gävle will wissen, ob ich die Bilder anschauen will. Ja ich bin müde. Oke. 8:20, die Zeit vergeht. Es wird sich nicht ausgehen. 28.000 Zeichen. Gut.
Wie hiess die? Wie hiess die Datei? „ÖO Der ganz lange dicke Hund 5.2.rtf“ Fünfpunktzwei? Wieso ist die nicht da? Ringrang, Ringrang, hallo? Nein du störst nicht, du störst nie. Müllers Nummer? Moment. Knaterknatter, klick. Hallo? Tasse drei. Ringrang, Ringrang, hallo? Ja, das war bei mir. Sie bauen, keine Ahnung, plötzlich bist du weg. Ja ein Haus. Seit drei Jahren. Jeden Tag um sechs. Punkt sechs fangen sie zum Knattern an. Das Pdf. Genau. Von wann ist das? Aha. Also ich hab da nichts. Nein. Moment. Ja. Mai. Natürlich. Mai war das. Hallo? Haaaaalo? Ja plötzlich warst Du weg. Mai. Pdf. Hab ich, schick es Dir. Keine Ursache. Baba! Knatterknatter. Was wollte ich?
Ach ja, anziehen wollte ich. Mich. Tüdelü? Tüüdelüü. Ja? Wer? Amazon? Ja. Tür 7. Dring. Wo ist die Bluse? Wieso ist da ein Fleck? Der Amazonmann. Armer Kerl, muss arbeiten wie Sau. Scheisskapitalismus. Wo ist die Zahnpasta. Räääääääng. Wieso ist der schon da? Moment, moment! Bluse an, Rock an, Haare, Spiegel. Tür. Bin schon da. Tür. Aha. Ja. Tür Sieben, ja ich. Da muss ich unterschreiben? Hier, für sie, danke. Tasse vier. Wieso ist die Milch schon aus? Was wollte ich? Genau. Schp schp. Klick, Ablage. Neu. Ohne Titel 12. Schp schp. Klick. Aha. Mail. Eingang. Schrolscrollscroll, scroll, Böhm, Markus. Aha, Stressessay Erinnerung. Klick. Rondo Spezial zum Thema „Luft holen / Sauerstoff“. Essay über „Mein Gott, hob i an Stress“, Umfang: 150 Zeilen (4200 Anschläge) Abgabe: 27. Juli. Was hamma heute? 25. Juli, geht sich aus. Apple-C schp-schp. Klick. Klick. Apple-V. Tasse fünf. Wo ist das Milchpulver? Klickklick. Schp-schp.
Ich muss gestehen, ich bin hochleidend, die Krankheit hat mich fest im Griff. Ich habe Stress. Und er kommt von Innen.

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