POLEMIK Über die Krise der Anständigen, die in die Falle gerieten. Als: ‚Sankt Gutmensch‘ – leicht gekürzt – erschienen in Falter 34/07. Dieser Text ist die Originalversion.
Als die Welt Kopf stand, war sie noch in Ordnung. Als der Millimetternich sich mit dem Bärentaler paarte. Es war eine Welt, wie sie die Szenaristen des Grauens entworfen hatten. Schüssel kletterte auf den Bundeskanzlersessel, in die Ministerien torkelten Witzfiguren. Die EU stellte das Land unter politische Quarantäne. Der erste Winter des neuen Jahrtausends begann mit dem Armageddon des guten Menschen, dem Bürgerkrieg der Worte.
Wer das Herz am linken Fleck verspürte, ging auf die Strasse. Das Auf-die-Strasse-gehen. Es hatte etwas Heiliges. So hatten wir Zwentendorf verhindert, das Kraftwerk in Hainburg, so waren wir dem Aufkeimen des Sonnenstudio-Faschismus begegnet, dem tumben Ausländerhass, der Verklärung der Kriegsgeneration. Die Strasse hatte was Gutes. Auf der Strasse war schliesslich auch die DDR abgetragen worden. Und das Regime in so manch anderem Ostblockstaat. Friedlich, mit Schlüsselbund und Kinderwagen.
Wolfgang Schüssel schien immun zu sein gegen die donnerstäglichen Protestbewegungen. Das Böse hatte einen Namen, das Gute war unterwegs. Wie Pilze schossen die Sammelbewegungen der Unterdrückten aus dem Boden, das Myzel der Privatsolidarität breite sich im Land aus, Caritas und Kommunisten fanden sich plötzlich auf der selben Seite wieder. Auf der Guten. Wenn man so will, war das auch eine Revolution. Jesus und Marx waren doch aus dem selben Holz geschnitzt, oder?
Endlich Feuer am Dach. Es war wie bei der freiwilligen Feuerwehr: Endlich konnten wir zeigen, wie gross der Druck in den guten Schläuchen war. Die Falle war zugeschnappt. Oder vielleicht so: Etwas war zugeschnappt, was so funktionierte wie eine Falle. Die Falle des Gutmenschen. Bis zum Hals staken wir drinnen. Im Guttun, im Spenden, im Aufrufen, im Verbünden. Indem unsere Häuptlinge, die Heiligen des Landes sich der Bedürftigen annahmen, indem sich Sankt Resetarits, Sankt Danzer, die Heilige Ute, der heilige Florian und Hunderte anderer der Linderung von Leid verschrieben, sie sich der Ausgegrenzten und Abgeschobenen widmeten, der Mundtotgemachten und der Brustkorbfixierten, nahmen sie dem Staat aus der Pflicht. Den Staat, das Gemeinwesen. Den wir jetzt als das gemeine Wesen wahrzunehmen begannen.
Amerikanische Zustände zogen in die Republik ein. Das Dilemma: Mit jeder guten Tat, mit jeder herzerwärmenden Privatinitiative, mit jedem Solidaritätsfest näherte sich der Gutmensch einem Sozialverständnis an, das im Staat nur mehr den Hüter von Recht und Ordnung sah. Dem Recht auf Aktienbesitz und die Ordnung der Kursgewinne.
Die Charity-Veranstaltung der Schwerreichengattin und die Wintermantelsammlung der Pensionistin nagten an den Grundfesten. Zwischen Sozial und Staat war der Bindestrich immer länger geworden. Und in der Regierung sassen die Totengräber. Es war zum Aus-der-Haut-fahren. Lethargie und Depression schlich in unser Gutmenschenherz. Postrevolutionäre Apathie. Ein Ildefonso aus Weltschmerz und Hoffnungslosigkeit. Wir, die Donnerstagsgeneration, wir hatten scheinbar versagt und schlichen uns ins Bobo-Biedermeier. Schwarzblau erodierte ganz von selbst, nicht der Kristallprinz wurde König, sondern der dicke Ybbser.
Durch eine Revolution ist in Österreich noch keine Regierung zu Fall gekommen. Dazu gibt es im Gedächtnis des Landes keine Erinnerung. Das Volk hat dem Herrscher nie den Kopf abgehackt. Der Umsturz ist nie von unten gekommen, sondern immer nur aus dem Büro. In Zeitlupe, unhörbar und ohne Aufregung. Zitzerlweis sozusagen.
Im Lichte dieser Erkenntnis wollen wir also nicht aufgeben! Es werden sich doch Büromenschen finden aus dem apathischen Gutmenschenildefonso! Denn nicht auf der Strasse wird das Land umgebaut, nicht am Spendentisch, nicht in der Demo-Zentrale. Sondern ganz Old-School in den Ministerien und Ämtern, den Gremien und Kommissionen. Zugegeben, ein bissl fad ist das. Wir sind schliesslich in Österreich. Aber wem es zu langsam geht, der werfe die erste Freitagtasche.
Als ich am 22. August 2007 den Bundeskanzler der Republik, Alfred Gusenbauer zu einem STANDARD-Interview im Museumsquartier traf, stellte er sich mit den Worten vor: „I bin’s, der ‚Dicke Ybbser‘!“