Liebe Frau Andrea,
während sich eine Besucherin im FKK-Bereich des Gänsehäufels ihrer Textilien entledigte, beschwerte sie sich lautstark über „die Sacklpicker“. Erfreut, diese alte Wortkreation wieder einmal zu hören, frage ich mich, ob wohl ein nicht mehr existenter Berufszweig für dieses sicher nicht sehr freundlich gemeinte Wort herhalten muss. Apropos Gänsehäufel: diese Traditionsbadeanstalt feiert heuer sein 100jähriges Bestehen. Gänsehäufel? How comes? Erbitte fachkundlichen Rat!
Markus Katzenschläger, Brigittenau
Lieber Markus,
mit dem despektierlichen Ausdruck “Sacklpicker” bezeichnen die Wiener einen Sträfling, galt doch das Tütenkleben lange Zeit als Arbeitstherapie im Strafvollzug. Die Angesprochenen mag ihre Nacktbaderin vermutlich an deren “Häfenpeckerln” (Gefängnistätowierungen) erkannt haben. Strenggenommen wird nicht das Gänsehäufl Hundert, sondern das “Strandbad der Commune Wien am Gänsehäufel”, das auf der uralten Gänseinsel in der Alten Donau am 5. August 1907 eröffnet wurde. Eingerichtet hatte das Bad sieben Jahre zuvor der Naturist und Exzentriker Florian Berndl, der dort seinen einzigartigen Traum vom entkorksten Baden verwirklicht hatte. Nachdem der weissbärtige Frühhippie von konservativen Bürokraten aus seinem Bad gemobbt wurde, gründete er am gegenüberliegenden Lettenhaufen die Gartenkolonie Neu-Brasilien und schliesslich am Bisamberg das Arbeiterurlaubsparadies Volkssemmering, bevor er, gemütskrank geworden, 1934 aus der Enge seines Spitalszimmers in den Tod sprang. www.comandantina.com dusl@falter.at
Erschienen in meiner Kolumne ‚Fragen Sie Frau Andrea!‘ in Falter 30/2007