Die Technik ist ein Hund, heisst es. Und weil der Hund unser Freund ist, wedelt mit dem Schwanz. Irrt Euch nicht, sage ich, der Hund beisst.
Erschienen in Standard-Rondo vom 29. Juni 2007
Die ältesten Fundstücke, die von der Existenz des Menschen künden, sind technische Artefakte. Faustkeile, Löcher in Muschelchen, dicke Frauenpüppchen mit Melonenbrüsten. Das Erzeugen von Werkzeugen, Schmuck und religiösen Figuren wollen wir uns mal von einer Geschicklichkeit getragen vorstellen, die mit den heutigen Fähigkeiten der Menschheit vergleichbar ist. Geschwollene Daumen, blutende Finger, Schwielen und Schrunden sind das mindeste, was unsere Körper während der Evolution der Technik an Beschädigungen davon trugen. Abgesägte Zehen und ausgeschlagene Augen werden auch dabei gewesen sein. Und der eine oder andere Kieferbruch.
Ihre Zahnschmelze schliffen sich auch die technisch zurückhaltenden unserer Vorfahren weg, weil der Abrieb der Mahlsteine im Mehl blieb und jahrttausendelang mit Brei und Fladen zwischen die Beisserchen kam. Abgenütze Gelenke, gekrümmte Rücken, die Liste der zivilisatorischen Spuren an den Skeleten unserer Ahnen sind lang. Sage niemand, nur die Unerjochten hätten unter der Technik gelitten. Die Gräber der Helden sind voll von gespaltenen Schädeln, abgehackten Beinen und schartigen Armen. Krieg und Technik sind Geschwister.
Längst waren es nicht nur Bauern, die sich an Pflügen und Eggen die Bewegungapparate kaputtschunden, auch unter Tag wurde Raubbau am Körper betrieben. Knappen brachten Staublungen, Vergiftungen und gekrümmte Rücken aus dem Berg, ihren Abnehmern, den antiken Schmieden wurden gar die Achillessehnen durchtrennt, damit sie nicht zum Nachbarstamm liefen.
Mit dem was man heute den Siegeszug der Technik nennt, sollten die Schäden aus körperlicher Arbeit abgenommen haben. Schnecken. Vielleicht fallen heute weniger Hausfrauen aus den Fenstern ihrer Wohnungen, und weniger Bauern in die Jauchegrube. Dafür fallen mehr Piloten vom Himmel und mehr Automobilisten ins Koma. Kaum zurückgegangen ist die Fehlfingrigkeit unter den Fleischhauern und Tischlern.
Dass die Begegnung von Mensch und Technik auf einer höheren Ebene spielt, hat nicht dazu geführt, dass diese etwa ungefährlicher geworden wäre. Konnte sich der jugendliche Schnellfahrer mit seinem Manta früher schon mit Geschwindigkeiten im gesetzten Ortstempo ins Jenseits befördern, kommen heute grössere Kräfte und bessere Technik aus dem Werk. Mit 150 gegen den Baum zu knallen ist aber auch mit ABS und sieben Airbags sehr ungesund.
Ein Lied vom Kettenhund Technik wollen uns auch die Musiker singen. Taube Rockmusiker, Plattenaufleger mit Tinitus sind nur neu dazugekommen im Konzert der technischen Beschädigungen. Nach Untersuchungen leiden 80 Prozent der klassischen Orchestermusiker an der ruinösen Tormentierung ihrer Körper. Pianisten und Geiger leiden an fokaler Dystonie, können ihre Finger nicht mehr wie gewohnt bewegen. Die Gliedmaßen hängen beim Spiel, rollen sich zusammen oder sind unkontrollierbar überstreckt. Auch die Mundmuskeln von Bläsern oder die Kehlköpfe von Sängern können ein Eigenleben entwickeln, den berüchtigten Musikerkrampf. Je nach verwendetem Instrument haben hohe Streicher schief gedrückte Kiefer und Druckflecken am Hals, Bläser leiden an schartigen Verletzungen von Mund und Lippen. Beim Pustenden Personal ist zudem kaum ein Zahn, wo er hingehört. Schultern werden von den kiloschweren Trompeten in die Tiefe gezogen. Miles Davis blies zuletzt zur Schmerzvermeidung lotrecht gegen den Bühnenboden.
Die Beschädigungen, die die unheilvolle PC-Trias Bildschirm – Tastatur – Maus in der ersten und zweiten Welt anrichtet, dürfte alle Vorteile dezimieren, die die Demokratisierung der Computers gebracht hat. Der Computerarbeitsplatz beschädigt uns bis zur Arbeitsunfähigkeit. Mit Thrombosen vom langen Sitzen, dem Verlust von Sehkraft, Rücken- und Kopfschmerzen durch verspannte Muskulatur, Sehnenscheiden-Entzündungen von überdehnten Handgelenken, höllischer Nervenpain und radikaler Bewegungseinschränkung durch RSI (Repetive Strain Injury oder Wiederholungs-Belastungs-Verletzung). Und die körperlichen Manifestationen sind nicht die einzigen. Computer sind, ohne dass es uns bewusst wird, eine psychische Belastung. Sie fordern grundsätzlich zum Weitermachen auf. Mit Aktionen, Befehlen, Fehlermeldungen. Globale Schreibprogramm wie Word oder Tabellenschnitzmesser wie Excel sind Multilevel-Egoshooter, bei dem das Blut nicht aus dem Monitor rinnt, sondern der Schmerz in die Glieder fährt. Da kann Billy Gates gar nichts dafür. Das geht auch Linux-Afficionados so. Der Computer ist eine grosse Schmerzmaschine.
Jüngster Mitspieler im Kampf Mensch gegen Maschine ist der sogenannte SMS-Daumen. Der dicke Oppositionsfinger hat den Zeigefinger als meistbenutzes Fingerglied abgelöst. Zumindest in der Generation der unter 25-jährigen. Der Gebrauch von Gameboys und Playstations hat dazu geführt, dass Handytasten mit den Daumen benützt werden. Die Generation davor tippt die kleinen Tasten der Funktelefone noch mit Zeigefingern. Neue Krankheiten sind schon bekannt. Entzündete Daumengrundgelenke von exzessivem SMS-Tippen und ein alarmierender Paradigmenwechsel im Zeichensetzen. Die „Generation Daumen“ tippt auch Klingelknöpfe mit dem Daumen. Japanische Kids verwenden, wenn sie auf Dinge zeigen, längst nicht mehr mit dem Zeigefinger, sondern mit dem Daumen. Dafür ist der Sehnenappaat von Homo Communicans nicht eingerichtet. Brave New World.
Andrea Maria Dusl ist Autorin, Filmemacherin und Zeichnerin. Sie hostet ein vielbesuchtes Blog auf www.comandantina.com. Im Herbst erscheint im Residenz-Verlag ihr neues Buch „Die österreichische Oberfläche“
Erschienen in Standard-Rondo vom 29. Juni 2007