Andrea Maria Dusl im Standard-Album vom 9. Juni 2007
Mörtel und Mausi, Alfons und Mirijam, Dieter und Naddel. Ende Mai stellte der Standard eine simple Frage ins Netz. Die Internetseite des lachsrosa Organs wollte wissen, wer die großen Nervensägen des Landes seien. Man wolle doch Vorschläge posten.
Hunderte Beiträger arbeiteten sich an der eingangs angeschlagenen These Deutschlands vorlauter Moderatorin Sarah Kuttner ab, die sich zuletzt in ihrer FAZ-Kolumnen-Sammlung „Die anstrengende Daueranwesenheit der Gegenwart“ zum Dasein als Nervensäge bekannt hatte. Die eloquente Moderatorin war bei dem quirlig auftretenden, aber doch sehr spießigen Sender MTV im vorigen Jahr als beste deutsche Schnellsprechmoderatorin geschasst worden und brilliert seitdem als Publizistin im deutschen Feuilleton.
Wenn sie überhaupt eine Vorbildfunktion habe, meinte Kuttner in ihrem neuem Kolumne-Kompilat, dann diese: „Lernt endlich, ‚ich‘ zu sagen, lernt endlich, Nervensäge zu sein!“ Es gäbe nur eine Entscheidung, edelfederte sie: „Nervenbündel sein oder Nervensäge sein“. Ihr Nervensägen-Dasein sei psychische Hygiene, sei ein Befreiungsschlag.
Etwas Drittes dazwischen sei ausgeschlossen. Wer sich in dieser Sache nicht festlegen möchte, wer also glaube, schwanken zu dürfen, zwischen Bündel und Säge, der täusche sich selbst.
Die Frau spricht mir aus der Seele. Auf dem Katasterplan ihrer These besitze ich grosse Grundstücke im sonnenbeschienenen Tal der Nervensägerei. Das „Ich“ geht mir über vieles. An der Depression des Gleichschritts finde ich keinen Gefallen. Und Showbusiness ohne Rampenbrand lehne ich ab. Demnächst kommt vielleicht der alkohofreie Wein?
Der öffentliche Mensch brüllt nicht im Schweigen. Dafür ist die Literatur zuständig. Wolfgang Schüssel hat über diesem Missverständnis seine Kanzlerschaft ausgehaucht und Alfred Gusenbauer möchte ich von diesem Irrweg abgehalten wissen, er ist mir als Nervensäge eindeutig lieber, denn als Trappist.
Die schnoddrige Ansage der schlagfertigen Kuttner blieb indes 346 Einträge lang unbeschädigt. Die Standard-Poster schnitzten lieber an der Liste und zählten als genuin nervensägig vor allem auf, was fernsehtechnisch gut und teuer ist.
Vera Russwurm, Armin Assinger, Arabella Kiesbauer oder Hansi Hinterseer, die Liste Österreichs grösster Nervensägen ist mit der Moderatoren-Payroll der heimischen Fernsehsender ident. Nehmen wir noch die alertesten Parlamentarier und die Regierungsmitglieder mit der meisten Air-Time dazu, fertig ist Österreichs Nervensägewerk.
Die Nervensägen jenseits der schnitzelländischen Grenzen rekrutieren sich ebenfalls aus dem Personal mit der grössten östereichischen Fernsehpräsenz: Hotelerbin Paris Hilton, Brezel-Präsdient Georg W. Bush oder die Krawalltouristen im Rattenschwanz der Globalisierungsgegner Attac.
Gut, mit George W. Bush würde ich nicht ins Sacher gehen, mit Paris Hilton aber jederzeit zum nächsten Würstelstand. Das Handy würde ich ihr gegebenenfalls im Pfefferoniglas versenken, sonst fiele mir an Paris Hilton jetzt mal ferndiagnostisch betrachtet nichts verachtenswertes auf. Dass sie reich ist, ist eindeutig nicht ihr Verdienst.
Es scheint, als hinge die Schärfe der Sägezähne der begabtesten und meistzitierten Nerver von nichts anderem ab, als von ihrer Gegenwart in jenem Medium, das wie kein zweites in die Wohn- und Schlafzimmer des Landes eingedrungen ist.
Ich verstehe den Zorn der Nervenbesägten, auch mir ginge Armin Assinger auf die Kabel, wenn er täglich bei mir auf der Wohnzimmermatte stünde, um eine Gendarmenball-Wuchtel abzulegen. Oder wenn sich der tropfnasse Rückenschwimmheld Rogan, meinen Couchtisch mit der Hallenbadkante verwechselnd, am schlichten wording simpler Werbebotschaften versuchte.
Persönlich betrachtet haben die Genannten meine grösste Sympathie. Eine Showkrähe hackt der anderen kein Auge aus. Dirk Stermann und Christoph Grissemann, gewiss keine Kinder von traurigen Streicheleinheiten, zählen zu ihren allerersten Vorbildern den Grossmeister der Nervensägekunst, Peter Rapp. Aus dem Himmel winkt uns gerade Heinz Conrads zu.
Differenziert betrachtet machen die Eins-A-Promis aus Seitenblicken und Sportsendungen, aus Millionenshows und Betroffenheits-Galas nichts anderes als ihren Job. Und sogar unter scharfer Auslegung der Showgesetze machen sie den ganz gut. Wäre an der Quote – und nichts anderes gilt als Parameter – zu meckern, würden sie wohl abgesetzt werden. Früher oder sagen wir mal mit ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz, etwas später.
Dabei ist das Sprachbild der Nervensäge diffus und unpräzise. Nerven, also jene Leitungsbahnen, die unseren Körper mit Signalen und Sinnesreizen versorgen, sind reissfeste Strukturen, die ich eher mit dicken Gummibändern vergleichen würde als mit Ästchen und anderen hölzernen Strukturen. Ich weiss das deswegen so genau, weil mein Weg zu einem abgebrochenen Medizinstudium mitten durch monatelange Sezierkurse führte.
Was ich, bar jeden Doktorats, aus den Formalinsälen mitgebracht habe, ist neben anderen Kunstfertigkeiten die Erkenntnis, dass man an Nerven nicht sägen kann. Dazu sind sie zu elastisch. Schneiden, spannen, einkringeln, auf Locken drehen, ja sogar Verknoten lassen sich Nerven jederzeit, aber sägen? Njet. Die Baumax-Säge aus dem Heimwerkermarkt oder die Laubsäge aus dem Bastellade sind ganz entscheiden die falschen Instrumente zur Durchtrennung von menschlichen Nerven.
Das Bild der angesägten Nerven dürfte denn auch wo von anders kommen. Vom Sägen an ganz anderen Kabeln nämlich. Vom sägenden Kratzen auf den schlecht gestimmten Saiten einer billigen Geige etwa. Dieses Bild erzeugt mithin jenen garstigen Schauer, der dem angesägten Nerv an Penetranz gleichkommt.
Wer kennt es nicht, das schlimmste Geräusch des Planeten? Den gekratzten Fingernagel auf der Schultafel.
Paläopsychologen wollen herausgefunden haben, das das Geräusch aus der Urerinnerung unserer vormenschlichen Ahnen stammt und den Warnrufen der frühen Primaten ähnelt. Kein Wunder, dass die kläffenden Kehlen kleiner Köter die selben unangenehmen Empfindungen auszulösen vermögen. Omas Axel würde ich mal die perfekte Nervensäge nennen.
So paradox es klingen mag, die kratzende Tafel und der kläffende Spitz lösen ins uns Affen den Fluchtschauer der Todesgefahr aus. Das mag alles kulturell überformt sein, und genetisch verwässert, aber ich gestehe: Wenn Mausi Lugner das Wort gegen den Herrn Baumeister erhebt, lasse ich die Banane fallen und hantle mich über die Äste.
Nach meiner These des Nervensägens sind in die Fidel des Schreckens nicht unsere eigenen Nerven gespannt, sondern stets die der Solisten. Und im persönlicher Umgang mit nervenden Zeitgenossen ist schon manche Geige zu Bruch gegangen. Da kenne ich kein Miteinander.
Das Ruhigstellen von Shownervern mag über die Distanz, die das Medium Fernsehen aufspannt, nicht so einfach funktionieren.
Indes: so lange meine Fernbedienung mit gut geladenen Batterien bestückt ist, sehe ich auch darin keine Bedrohung. Meine Reizschwelle ist ausserdem hoch. Von Fernsehleuten will ich nicht pfäffisch eingelullt werden oder lyrisch zugetextet. Die singende Häkelhaube DJ Ötzi und der Erzbischof der Fernseh-Butterfahrt Andy Borg sollen nerven, was die Sägen hergeben, dafür werden sie schliesslich bezahlt.
Solange ich den Abschaltknopf hab.