Im Haus neben meinem wird gebaut. Gebaut. In der kleinen bescheidenen Wienerwelt ist das ein magischer Vorgang. Seitdem die Stadt im zweiten Weltkrieg von Bombenhageln zerschrammt wurde, hat das Bauen eine zweite Konnotation. Bauen muss nicht das Errichten neuer Gebäude bedeuten. Bauen in den engen Gassen der inneren Bezirke heisst: Wiederaufbau. Wohnungszusammenlegung. Kategorie-Upgrading. Mietrenditenmaximierung.
Nun sind zwar die Narben der Bombennächte längst mit den sauberen Fassaden der Fünfzigerjahre verputzt und mit den Kleinplattenbauten der Sechziger kaschiert, im Gedächtnis der Bewohner ist Wien aber noch immer die Trümmerstadt der späten Vierziger. Im Gedächtnis der Bewohner ist das Hämmern und Klopfen, das Knattern von Baumaschinen und das singende Geräusch hebender Kräne ein musikalisches Leitmotiv für Stadtgesundung.
Lärm ist leiwand. Denn Lärm heisst Bauen. Und Bauen ist gut. Ganz unabhängig davon, was gebaut wird, was verspachtelt, was niedergerissen. Das Geräusch fallender Ziegel, der Geruch eröffneter Keller, der Anblick frischer gegrabener Kineten erfüllt die Wienerin und den Wiener mit einem wohligen Schauer. Es geht aufwärts. Es wird besser. Die Stadt richtet sich auf.
Tatsächlich bedeutet das Knattern von Baumaschinen nichts Gutes. Das Klingeln der Baugerüste kündigt Böses an. Teurer Wohnraum wird geschaffen. Wohnraum für Bobos. Linkswählende, gründenkende, wirtschaftsliberale Enddreissiger und Mittvierziger mit überkrusteten Katholikenseelen und bürgerlichen Herzklappen. Fretitagtaschenjunkies, die Kaiser Chiefs hören und Second Life spielen, Muqualiegen bewohnen und Zitronengras kauen.
Die Bobos, die die Wohnungen im Haus neben meinem beziehen werden, werden sich über frischverlegte Parketten freuen, fugendicht schliessende Fenster, wireless-LAN-Buchsen und sanft federnde Aufzüge. Sie werden bei den lesbischen Blumenhändlerinnen neben dem 1000-Sessel-Händler eingetopfte Farne kaufen und Bäume mit Feigen, Rosmarin und Salbeibüsche. Sie werden Karottenbrot bunkern und ungespritzte Limonen pressen und in fair getradetem Kupfergeschirr handgeschriebene Rezepte verkochen.
Bis im übernächsten Nachbarhaus der kleine Bagger einfahren wird. Ein Sechsachser aus dem Burgenland die Mulde kippen und zwei Mietarbeiter damit beginnen werden, das Nachbarhaus zu entkernen. Dann wird es knattern und rütteln. Dann wird der Kran singen und die kleine Schaufel des Zimmerbaggers unsere Bobos aus dem Futon heben.
Brav, werden die Omas mit den dackelgelähmten Dackeln sagen. Elender Proletenlärm! werden die Bobos schnauben und die Emailadresse der nächsten Polizeiwachstube googeln.